Harry Bosch 15 - Neun Drachen
das?«
»Keine Ahnung.«
Eleanor sah Sun an.
»Wir müssen irgendwie nach oben kommen.«
Das war alles, was sie sagte, aber die Botschaft kam an. Sun nickte und führte sie von den Aufzügen fort und tiefer in das Labyrinth aus Verkaufsständen hinein. Sie kamen zu einer Reihe Theken mit Schildern in allen möglichen Sprachen.
»Hier mietet man Zimmer«, erklärte Sun. »Es gibt mehr als nur ein Hotel.«
»In diesem Gebäude?«, fragte Bosch. »Mehr als eins?«
»Ja, viele. Sie suchen hier eines aus.«
Er deutete auf die Schilder auf den Theken. Erst jetzt merkte Bosch, dass Sun ihm zu verstehen geben wollte, dass es in dem Gebäude mehrere Hotels gab, die alle um Reisende mit schmalem Geldbeutel konkurrierten. Manche, darauf deutete zumindest die Sprache auf ihren Schildern hin, zielten auf Reisende aus bestimmten Ländern ab.
»Versuchen Sie, herauszubekommen, welches im vierzehnten Stock ist«, sagte Bosch.
»Einen vierzehnten Stock gibt es hier nicht.«
Bosch merkte, dass er recht hatte.
»Dann eben im fünfzehnten. Welches ist im fünfzehnten Stock?«
Sun ging von einer Theke zur nächsten und erkundigte sich nach dem fünfzehnten Stock. An der dritten blieb er stehen und winkte Eleanor und Bosch zu sich.
»Hier.«
Bosch taxierte den Mann hinter dem Schalter. Er sah aus, als wäre er schon vierzig Jahre hier. Sein birnenförmiger Körper schien sich dem Hocker, auf dem er saß, passgenau angeglichen zu haben. Er rauchte eine Zigarette, die in einer zehn Zentimeter langen Elfenbeinspitze steckte. Offensichtlich wollte er keinen Rauch in die Augen bekommen.
»Sprechen Sie Englisch?«, fragte Bosch.
»Ja, ich habe Englisch«, antwortete der Mann träge.
»Gut. Wir wollen ein Zimmer im vier … im fünfzehnten Stock.«
»Sie alle? Ein Zimmer?«
»Ja, ein Zimmer.«
»Nein, Sie nicht können ein Zimmer. Nur zwei Personen.«
Bosch merkte, er meinte, dass jedes Zimmer höchstens mit zwei Personen belegt werden konnte.
»Dann geben Sie mir zwei Zimmer im fünfzehnten.«
»Erst machen.«
Der Mann schob ihm ein Klemmbrett zu, an dem mit einer Schnur ein Stift befestigt war. Unter der Klammer steckte ein dünner Stoß Meldeformulare. Hastig trug Bosch Namen und Adresse ein und schob das Klemmbrett über die Theke zurück.
»Ausweis, Pass«, sagte der Mann.
Bosch holte seinen Pass heraus, und der Mann sah ihn sich an. Er notierte sich auf einem Blatt Schmierpapier die Nummer und gab ihn zurück.
»Wie viel?«, fragte Bosch.
»Wie lang bleiben?«
»Zehn Minuten.«
Der Mann sah von einem zum anderen, während er überlegte, was Boschs Antwort bedeutete.
»Jetzt machen Sie schon«, drängte Bosch ungeduldig. »Wie viel?«
Er griff nach seinem Geld in die Tasche.
»Zweihundert amerikanische.«
»Amerikanische habe ich nicht. Nur Hongkong-Dollar.«
»Zwei Zimmer eintausendfünfhundert.«
Sun kam nach vorn und legte die Hand auf Boschs Geld.
»Nein, zu viel.«
Er begann schnell und mit Nachdruck auf den Mann einzureden, um ihn daran zu hindern, Bosch zu übervorteilen. Aber das war Bosch egal. Ihm ging es um den Schwung, nicht ums Geld.
Er zählte fünfzehnhundert Hongkong-Dollars von seinem Geldbündel ab und warf sie auf die Theke.
»Schlüssel«, verlangte er.
Der Mann drehte sich um und nahm zwei Schlüssel aus den Fächern hinter ihm. Bosch sah Sun an und zuckte mit den Achseln.
Der Mann drehte sich wieder um, doch als Bosch die Hand nach den Schlüsseln ausstreckte, hielt er sie zurück.
»Pfand für Schlüssel eintausend.«
Bosch merkte, dass er sein Geld auf keinen Fall hätte zeigen dürfen. Er zog es rasch wieder heraus, hielt es aber diesmal unter der Theke und klatschte zwei weitere Scheine auf die Theke. Als ihm der Mann auf dem Hocker endlich die Schlüssel hinhielt, riss Bosch sie ihm aus der Hand und ging zum Lift.
Die Zimmerschlüssel waren altmodische Messingschlüssel mit rautenförmigen roten Plastikanhängern mit chinesischen Schriftzeichen und den Zimmernummern darauf. Sie hatten die Zimmer Nummer fünfzehn null-drei und fünfzehn null-vier bekommen. Auf dem Weg zum Lift reichte Bosch einen der Schlüssel Sun.
Zu Eleanor sagte er: »Du kannst entweder mit ihm gehen oder mit mir.«
Die Schlange vor dem Lift war länger geworden. Sie umfasste inzwischen über dreißig Personen, und auf dem Monitor war zu sehen, dass die Wachmänner je nach dem Körperumfang der Fahrgäste pro Fahrt maximal zwischen acht und zehn Personen einsteigen ließen. Bosch verbrachte die
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