Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
mir reden.«
»Dann versuch wenigstens, so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Damit wir ihn demontieren können, wenn es so weit ist.«
»In Ordnung.«
Bosch drehte sich um und ging zum Aufzug. McPherson rief ihm hinterher. Er blieb stehen und blickte zurück.
»Hast du das wirklich gemeint?«, fragte McPherson.
»Was?«
»Was du unten im Foyer gesagt hast. Was du mich gefragt hast. Glaubst du, sie hat das vor vierundzwanzig Jahren alles nur erfunden?«
Bosch sah sie lange an, dann zuckte er mit den Achseln.
»Keine Ahnung.«
»Und was ist dann mit den Haaren im Abschleppauto? Untermauert das ihre Darstellung nicht?«
Bosch hielt eine leere Hand hoch.
»Sie sind nur ein Indiz. Und ich war nicht dabei, als sie sie gefunden haben.«
»Was soll das jetzt wieder heißen?«
»Es heißt, dass manchmal etwas passieren kann, wenn das Opfer ein Kind ist. Und dass ich nicht dabei war, als sie die Haare gefunden haben.«
»Mann, du solltest echt für die Verteidigung arbeiten.«
Bosch ließ die Hände an den Seiten hinabsinken.
»Ich bin sicher, dass sie an das alles längst gedacht haben.«
Er drehte sich um und ging in Richtung Lift den Flur hinunter.
29
Dienstag, 6. April, 9:00 Uhr
M anchmal mahlen die Mühlen der Justiz reibungslos. Der zweite Prozesstag begann ganz nach Plan. Die Geschworenen saßen vollzählig auf der Bank, die Richterin war auf ihrem Platz, und Jason Jessup und sein Anwalt saßen am Tisch der Verteidigung. Ich stand auf und rief den ersten Zeugen eines Tages auf, von dem ich hoffte, dass er für die Anklage ergiebig würde. Harry Bosch hatte Izzy Gordon sogar schon in den Saal gebracht. Fünf Minuten nach neun war sie vereidigt und auf ihrem Platz. Sie war eine zierliche, kleine Frau mit einer schwarzen Brille, die ihre Augen vergrößerte. Meinen Unterlagen zufolge war sie fünfzig Jahre alt, aber sie sah älter aus.
»Ms. Gordon, würden Sie bitte den Geschworenen sagen, was Sie beruflich machen?«
»Ja. Ich bin Kriminaltechnikerin und Tatort-Supervisorin beim Los Angeles Police Department. In dieser Funktion bin ich seit 1986 in der CSI -Abteilung tätig.«
»War das auch am 16. Februar besagten Jahres der Fall?«
»Ja, das war mein erster Arbeitstag.«
»Und worin bestand an diesem Tag Ihre Aufgabe?«
»Eigentlich sollte ich erst einmal nur lernen. Ich wurde einem Tatort-Supervisor zugeteilt und sollte sozusagen ein Training-on-the-job erhalten.«
Izzy Gordon war für die Anklage ein Glücksgriff. Für die drei verschiedenen Tatorte im Fall Melissa Landy – das Haus in der Windsor, die Mülltonne hinter dem El Rey und das von Jessup gefahrene Abschleppauto – waren zwei Kriminaltechniker und ein Supervisor zuständig gewesen. Da Gordon dem Supervisor zugeteilt gewesen war, war sie an allen drei Tatorten gewesen. Der Supervisor war schon lange tot, und die zwei anderen Kriminaltechniker waren in Pension und konnten nicht zu allen drei Tatorten aussagen. Dank Gordon war es mir möglich, die Tatortbeweise zügig und in komprimierter Form vorzustellen.
»Wer war dieser Supervisor?«
»Art Donovan.«
»Und Sie waren an besagtem Tag mit ihm unterwegs?«
»Ja. Eine Entführung hatte mit einem Mord geendet. Das hatte zur Folge, dass wir an diesem Tag von einem Tatort zum anderen fuhren. An drei verschiedene Stellen.«
»Gut, dann lassen Sie uns diese Tatorte der Reihe nach durchgehen.«
In den nun folgenden neunzig Minuten lotste ich Gordon durch ihre sonntägliche Tatorttour vom 16. Februar 1986. Indem ich sie gewissermaßen als Medium einsetzte, konnte ich Tatortfotos, Videos und Beweismittelprotokolle präsentieren. Royce hielt sich weiter an seine Taktik, wahllos Einspruch einzulegen, um einen ungehinderten Informationsfluss an die Geschworenen zu unterbinden. Allerdings konnte er damit nicht punkten, sondern begann nur, der Richterin zusehends mehr auf die Nerven zu gehen. Das merkte ich und beschwerte mich deshalb nicht. Ich wollte diesen Ärger schwären lassen. Vielleicht kam er mir später gelegen.
Zunächst war Gordons Aussage ziemlich belanglos. Sie schilderte die erfolglosen Bemühungen, Schuhabdrücke und andere Spuren im Vorgarten der Landys zu finden. Spannender wurde es erst, als sie an einen neuen Tatort gerufen wurde – zu der Mülltonne hinter dem El Rey.
»Wir wurden sofort verständigt, als sie die Leiche fanden. Daraufhin tauschten wir uns nur noch im Flüsterton aus, weil die Eltern im Haus waren und wir sie nicht beunruhigen wollten,
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