Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
-Protokoll fälschlicherweise als »Blind Man Trail« bezeichnet worden war.
»Was ist?«
Bosch sah seine Tochter an. Es war seit zwei Tagen ihr erster Versuch, ein Gespräch mit ihm zu führen. Er beschloss, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.
»Na ja, wir beobachten da so einen Typen. Die Special Investigations Section. Das sind die Observierungsspezialisten der Polizei. Sie beschatten einen Kerl, der gerade aus dem Gefängnis gekommen ist. Er hat vor langer Zeit ein kleines Mädchen umgebracht. Und aus irgendeinem Grund ist er zu diesem Park raufgefahren und hat an einem der Picknicktische dort gesessen.«
»Na und? Das ist doch, was man im Park macht.«
»Schon, aber nicht mitten in der Nacht. Der Park war geschlossen, und er ist reingeschlichen … und hat dann einfach nur im Dunkeln gesessen.«
»Ist er vielleicht in der Nähe des Parks aufgewachsen? Könnte doch sein, dass er sich die Orte ansieht, wo er aufgewachsen ist.«
»Das glaube ich nicht. Soviel wir wissen, ist er draußen in Riverside County groß geworden. Er ist zwar regelmäßig zum Surfen nach L.A. gekommen, aber irgendeinen speziellen Bezug zum Mulholland Drive habe ich nicht gefunden.«
Bosch studierte wieder die Karte und stellte fest, dass der Park oben und unten einen Eingang hatte. Jessup hatte den oberen Eingang benutzt. Das war für ihn ein Umweg, es sei denn, der Picknickbereich und der Blinderman Trail hatten für ihn eine besondere Bedeutung.
Bosch schob den Laptop wieder seiner Tochter zu. Und sah erneut auf die Uhr.
»Bist du bald fertig mit Hausaufgaben machen?«
»
Hast
du deine Hausaufgaben bald fertig
gemacht,
Dad. Oder: Bist du bald fertig mit deinen Hausaufgaben. Wie oft muss ich dir das noch erklären?«
»Entschuldigung. Bist du bald fertig?«
»Eine Mathe-Aufgabe muss ich noch lösen.«
»Gut. Ich muss mal schnell telefonieren.«
Lieutenant Wrights Handynummer stand auf dem Observierungsprotokoll. Bosch rechnete damit, dass er zu Hause war und sich über die Störung ärgern würde. Trotzdem beschloss er, ihn anzurufen. Er stand auf und ging ins Wohnzimmer, um Maddie bei ihrer letzten Aufgabe nicht zu stören. Er tippte die Nummer in sein Handy ein.
»Wright, SIS .«
»Hier Harry Bosch, Lieutenant.«
»Was gibt’s, Bosch?«
Wright hörte sich nicht genervt an.
»Tut mir leid, dass ich Sie zu Hause stören muss. Ich wollte bloß …«
»Ich bin nicht zu Hause, Bosch. Ich beschatte gerade Ihren Mann.«
Das überraschte Bosch. »Gibt es denn Probleme?«
»Nein. Die Nachtschicht ist nur spannender.«
»Wo ist er gerade?«
»Wir sind mit ihm gerade im Townhouse. Das ist eine Bar in Venice Beach. Kennen Sie sie?«
»Ich war mal dort. Ist er allein?«
»Ja und nein. Er ist zwar allein hergekommen, aber die anderen Gäste haben ihn schnell erkannt. Er muss nicht einen Drink selbst bezahlen und hat wahrscheinlich freie Wahl unter den ganzen Flittchen, die in dem Laden rumhängen. Wie gesagt, nachts ist es interessanter. Rufen Sie an, um uns zu kontrollieren?«
»Eigentlich nicht. Ich habe nur ein paar Fragen. Ich sehe gerade die Protokolle durch, und der erste Punkt ist: Kann ich sie nicht irgendwie früher bekommen? Ich gehe hier Material durch, das drei Tage oder noch länger zurückliegt. Der zweite Punkt ist der Franklin Canyon Park. Was können Sie mir zu seinem Besuch dort erzählen?«
»Zu welchem?«
»Er war zweimal dort?«
»Sogar dreimal. Er war die letzten beiden Nächte dort. Und zum ersten Mal vor vier Tagen.«
Das fand Bosch hochinteressant, vor allem, weil er keine Ahnung hatte, was es bedeutete.
»Was hat er die letzten beiden Male gemacht?«
Maddie war vom Esszimmertisch aufgestanden und kam ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf die Couch und hörte Bosch beim Telefonieren zu.
»Das Gleiche wie am ersten Abend«, antwortete Wright. »Er schleicht sich rein und geht immer zu den Picknicktischen. Und dann sitzt er bloß rum, als ob er auf etwas warten würde.«
»Worauf?«
»Das würde ich gern von Ihnen wissen, Bosch.«
»Da bin ich leider ebenfalls überfragt. War er jedes Mal zur gleichen Zeit dort?«
»Plus oder minus eine halbe Stunde, würde ich sagen.«
»Nimmt er immer den Eingang am Mulholland?«
»Ja. Und er nimmt auch immer denselben Weg zu den Picknicktischen.«
»Da stellt sich natürlich die Frage, warum er nicht den anderen Eingang nimmt. Von dort käme er nämlich wesentlich einfacher zu dieser Stelle.«
»Vielleicht gefällt es ihm, den Mulholland
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