Harry Dresden 08 - Schuldig
wandte ich mich wieder der Vogelscheuche zu und weigerte mich stur, noch weiter zurückzuweichen. Solange der Kreis um mich herum ungebrochen war, bestand für den Phagen nicht die geringste Möglichkeit, an mich heranzukommen. Das sollte mir etwas Zeit erkaufen, um wieder zu Atem zu kommen und mir meine weitere Vorgehensweise zu überlegen.
Die Vogelscheuche stieß ein wütendes Zischen aus und schwang ihren Armstumpf nach Rawlins. Der Polizeiveteran sah ihn jedoch kommen und rollte sich aus dem Weg, als sei er ein beweglicher, junger Mann, und entging so um Haaresbreite dem Schlag. Thomas benutzte ein altes Ölfass, um sich nochmals in die Luft zu katapultieren. Er rammte seine Absätze genau dort in den Rücken der Vogelscheuche, wo sich bei einem Menschen der Ansatz der Wirbelsäule befunden hätte. Der Aufprall schleuderte die Vogelscheuche zu Boden, doch noch während sie auf den Schotter krachte, trat sie schon mit einem langen Bein nach Thomas und traf seinen Schwertarm, der mit einem feuchten Knirschen brach.
Thomas brüllte und krabbelte aus ihrer Reichweite, wobei er seinen Säbel zurückließ. Die Vogelscheuche wirbelte wieder in meine Richtung, und in ihren Augen loderte eine fremdartige Wut. Ich schwöre, sie erkannte mich wieder. Sie ließ ihren Blick von mir zu Rawlins schweifen und heftete sich mit einem zischenden Kichern dem Polizisten an die Fersen.
Verdammt. Ich wartete bis zur letzten Sekunde, brach dann den Kreis, indem ich ihn mit dem Fuß verwischte, und hob Thomas’ Waffe auf. Ich stürzte mich auf das Wesen.
Die Vogelscheuche fuhr in dem Augenblick zu mir herum, als der Kreis in sich zusammenbrach, und schwang eine gewaltige Faust, die mir mühelos das Genick gebrochen hätte, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie frontal angreifen würde, also unterlief ich ihre Deckung und befand mich innerhalb ihrer Reichweite, noch ehe sie verstanden hatte, was ich da soeben getan hatte. Ich stieß einen Schrei aus und hieb den Säbel auf eines ihrer Beine, doch sie war schneller, als ich erwartet hatte, und die Klinge zog nur eine flache Furche über das dicke, von Ranken überzogene Gliedmaß. Die Vogelscheuche zischte scharf und laut genug, dass mir davon die Ohren klingelten und versuchte, nach mir zu treten. Ich wich gerade noch rechtzeitig zur Seite, und der für mich bestimmte Tritt traf stattdessen einen Stapel alter Reifen.
Madrigal erhob sich in nächster Nähe aus dem umgestürzten Reifenstapel und schrie vor Angst auf. Die Augen der Vogelscheuche loderten zu fast schmerzhaft grellen Flammen auf, als sie Madrigal sah, um sofort seine Verfolgung aufzunehmen.
„Zum Van!“, brüllte ich und vollführte einen Satz nach hinten, um mich an Madrigals Seite zu stellen. „Wir brauchen einen fahrbaren Untersatz, wenn wir hier entkommen wollen, bevor diese …“
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, streckte Madrigal einen Arm aus und schubste mich zwischen sich selbst und das Ungeheuer, wodurch ich direkt vor der Vogelscheuche auf den Schotter fiel. Dann drehte er sich um und floh in die entgegengesetzte Richtung.
Noch bevor ich auf der Erde aufschlug, ließ ich bereits Energie in mein Schildarmband fließen und drehte mich im Fallen so, dass ich auf meiner rechten Seite aufkam, während ich meine Linke mit erhobenem Schild emporstreckte. Wenn ich nur eine halbe Sekunde langsamer gewesen wäre, hätte mir die Vogelscheuche mit ihrem Fuß den Schädel zermatscht. So aber stampfte sie mit genug Wucht auf die Halbkugel meines magischen Schildes herab, dass der Schild heiß und grell aufgleißte, wodurch es beinahe aussah, als hätte sich eine Kuppel aus blauweißem Licht über mir gebildet.
Rasend vor Wut ergriff die Vogelscheuche ein leeres Fass und schleuderte es auf meinen Schild. Ich brachte sämtlichen Willen auf, als es auftraf, und lenkte die Wucht des Wurfes so ab, dass das Fass über mich hinweg auf den Schotter flog. Dieser Angriff war aber näher an mich herangekommen als der vorangegangene. Einen Augenblick später hämmerte ihre Faust auf mich herab, dann schnappte sie sich eine alte Aluminiumleiter in einem Schrotthaufen und schlug damit auf mich ein.
Ich vollbrachte es, all diese Angriffe abzuwehren, doch jeder einzelne rückte mir etwas näher auf den Pelz. Ich wagte es nicht, auch nur für eine Sekunde in meiner Konzentration nachzulassen, um mich aus dem Staub zu machen. Dieses verdammte Ding war unsagbar stark. Ich würde einen Fehler nicht überleben. Ein
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