Harry Dresden 08 - Schuldig
Kurve schossen, hatte die Vogelscheuche eben erst begonnen, das Gewirr von Armen und Beinen auseinander zu sortieren. Thomas wurde trotzdem nicht langsamer, sondern schlug noch ein paar Haken, ehe wir die Autobahnauffahrt erreichten.
Ich sah die ganze Zeit über nach hinten. Nichts verfolgte uns.
Dann sackte ich keuchend zusammen und schloss die Augen.
„Harry?“, fragte Thomas besorgt. „Alles klar?“
Ich grunzte. Selbst das war zu anstrengend. Ich benötigte eine Minute, ehe ich ihm antworten konnte. „Bin einfach müde.“ Nachdem ich mich von dieser Glanzleistung erholt hatte, fügte ich hinzu: „Madrigal hat mich diesem Ding entgegengeschubst. Dann ist er verduftet.“
Thomas zuckte zusammen. „Tut mir leid, dass ich nicht früher da war“, sagte er. „Ich habe mir Rawlins geschnappt. War der Meinung, du hättest mir so oder so gesagt, ich solle ihn mitnehmen.“
„Das hätte ich in der Tat“, antwortete ich.
Er musterte mich im Rückspiegel, und seine Augen waren blass und besorgt. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“
„Wir leben. Das ist das Einzige, was zählt.“
Thomas schwieg, bis wir von der Autobahn abgefahren waren und er den Van abbremste. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich nach Rawlins sah. Der Polizist hatte im Angesicht großer Schmerzen und noch größerer Bizarrerien einfach weitergemacht. Verdammt heldenhaft. Aber auch Helden waren nur Menschen, und der menschliche Körper hatte nun einmal Grenzen, über die man nicht hinaus kam. Nun hatte all das Rawlins endgültig eingeholt. Er atmete gleichmäßig, und sein verletzter Fuß war dermaßen angeschwollen, dass die Schwellung die Blutung gestoppt hatte. Ich glaube, nicht mal ein Atomkrieg hätte ihn geweckt.
Ich knirschte mit den Zähnen, als ich daran dachte, was als Nächstes zu tun war. Ich presste meine deformierte Hand in dem Winkel, den mir Lasciel gezeigt hatte, auf den Boden des Wagens und belastete sie ganz langsam immer stärker. Ich hörte ein hässliches Schnalzen, weiterer Schmerz durchflutete mich, doch dann ließ die Pein langsam nach. Mir wurde schwindlig, doch immerhin sah meine Hand wieder ansatzweise menschlich aus, auch wenn sich bereits die ersten blauen Flecken bildeten und sie ziemlich angeschwollen war. „Also“, meinte ich, nachdem ich wieder die Kraft zu reden aufbringen konnte. „Du bist mir durch die ganze Stadt gefolgt.“
„Ich wollte nicht in aller Öffentlichkeit mit dir gesehen werden“, erklärte er. „Ich fürchtete, der Rat könnte es in den falschen Hals bekommen, wenn sie herausgefunden hätten, dass du einen Vampir des Weißen Hofes auf einen Wächterausflug mitgenommen hast.“
„Wahrscheinlich“, antwortete ich. „Ich nehme mal an, du bist ihnen vom Parkhaus aus gefolgt?“
„Wenn ich ganz ehrlich bin, nein“, entgegnete Thomas. „Ich habe es versucht, sie aber aus den Augen verloren. Mouse dagegen nicht. Also bin ich ihm gefolgt. Wie haben sie es nur geschafft, ihn von dir fernzuhalten, als sie dich geschnappt haben?“
„Sie haben ihn mit diesem Van angefahren“, sagte ich.
Thomas hob eine Braue und äugte zu Mouse nach hinten. „Echt?“ Er schüttelte den Kopf. „Mouse hat mich zu dir geführt. Ich überlegte gerade, wie ich dich da rausholen kann, ohne dass sie uns beide über den Haufen schießen, aber dann hast du selbst gehandelt.“
„Du hast meinen Mantel geklaut“, sagte ich.
„Ausgeborgt“, korrigierte Thomas.
„Diesen Scheiß verraten sie einem nicht, wenn sie einem was von Brüdern erzählen.“
„Du hast ihn nicht angehabt“, sagte er. „Außerdem wollte ich ja nicht gerade völlig ungeschützt in einen deiner patentierten Anarchogasmen reinplatzen.“
Ich grunzte. „Du hast heute Nacht gut ausgesehen.“
„Ich sehe immer gut aus“, sagte er.
„Du weißt, was ich meine“, antwortete ich leise. „Besser. Stärker. Schneller.“
„Wie der Sechs-Millionen-Dollar-Mann“, sagte Thomas.
„Hör auf, Witze zu reißen, Thomas“, sagte ich mit gleichbleibender Stimme. „Du hast heute viel Energie verbraucht. Du nährst dich wieder.“
Thomas fuhr mit ausdrucksloser Miene und verschlossenem Blick weiter.
Ich kaute auf meiner Unterlippe. „Willst du darüber sprechen?“
Er sagte nichts, was ich als „nein“ auffasste.
„Wie lang bist du schon wieder aktiv?“
Ich war sicher, dass er mauerte, als er mit kaum hörbarer Stimme sagte: „Seit letztem Halloween.“
Ich runzelte die Stirn. „Als wir uns mit den
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