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Harry Dresden 08 - Schuldig

Harry Dresden 08 - Schuldig

Titel: Harry Dresden 08 - Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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an ihre Eltern. Ich dachte an all das fröhliche Lachen, das vergnügte, chaotische, pure Leben, das in dieser Familie steckte.
    Dann ritzte ich meine Fingerspitze mit dem Ritualdolch, berührte seine Spitze mit der Babyhaarlocke und legte ihn inmitten von Kleinchicago ab. Ich benutzte einen zweiten Tropfen Blut, bündelte meinen Willen und berührte den Kreis, der in der Tischoberfläche eingelassen war, um ihn zu vollenden und den Zauber zu beginnen. Ich schloss die Augen, murmelte einen Wortschwall in Pseudolatein, ließ meine Sinne über das Modell streichen und erweckte es zum Leben.
    Meine Sinne wurden in einen Strudel gezogen, und plötzlich stand ich beim Modell meiner Pension auf der Oberfläche des Tisches. Es kam mir zuerst vor, als wären die silberfarbigen Modelle zu voller Lebensgröße herangewachsen, doch dann bemerkte ich, dass genau das Gegenteil der Fall war. Ich war auf den Maßstab Kleinchicagos geschrumpft, und mein Bewusstsein lag jetzt in dem Zauber und weniger in meinem Körper, der drohend wie Godzilla über dem Tisch aufragte und die Worte des Spruches murmelte.
    Ich schloss die Augen, dachte an Molly, berührte die Locke ihres Haares mit meinem Blut, und zu meiner großen Überraschung raste ich die Straße mit wenig mehr Mühe hinab, als es mich gekostet hätte, bei einem Fahrrad ordentlich in die Pedale zu treten. Die Straßen unter mir und die Häuser neben mir leuchteten in weiße Energie gehüllt auf, und um mich herum lag ein Summen wie von einem Umspannwerk in der Luft.
    Sterne und Steine, Kleinchicago funktionierte! Es funktionierte sogar verdammt gut. Ich ließ mich von einer Welle der Begeisterung tragen, und meine Geschwindigkeit nahm im gleichen Maß zu, wie Jubel in meiner Brust emporflutete. Ich schoss durch Straßen und konnte aus den Augenwinkeln die verschwommenen Schatten von Menschen ausmachen, wie Geister, die undeutlichen Abbilder von Leuten, die sich genau in diesem Moment durch das reale Chicago um mich herum bewegten. Doch dann begann mein Zauber zu bocken, und ich merkte, dass ich wie ein verwirrter Hund im Kreis rannte, der versuchte, eine Fährte aufzunehmen.
    Es gelang nicht.
    Mit einer kleinen Willensanstrengung kehrte ich in meinen Körper zurück und starrte vollends erschöpft auf Kleinchicago hinunter.
    Total im Eimer angelte ich mir meinen Rucksack, setzte mich, kramte Bob heraus und legte ihn auf meinen Schoß.
    Seine Augen erglühten augenblicklich, und er sagte: „Versteh mich bitte nicht falsch, Großer. Ich mag dich wirklich. Aber nicht so.“
    „Klappe“, knurrte ich. „Ich habe gerade versucht, Molly mit Hilfe Kleinchicagos aufzustöbern. Doch der Zauber ist verpufft.“
    Bob blinzelte. „Es hat funktioniert? Das Modell hat funktioniert? Es ist dir nicht um die Ohren geflogen?“
    „Offenbar nicht“, sagte ich. „Es hat prima geklappt. Ich habe einen einfachen Suchzauber gewirkt, um sie aufzuspüren, aber ich habe ihre Fährte nicht aufnehmen können. Was stimmt mit dem verfluchten Ding nicht?“
    „Stell mich auf den Tisch“, forderte mich Bob auf.
    Ich streckte den Arm aus und kam seiner Bitte nach. Er schwieg für eine Minute, bevor er wieder zu sprechen anfing: „Alles in Ordnung. Ich meine, es funktioniert alles wie vorgesehen.“
    „Von wegen“, knurrte ich. „Ich habe den Suchzauber schon hunderte Male benutzt, es muss also am Modell liegen.“
    „Ich versichere dir, es läuft absolut rund“, meinte Bob. „Ich habe das blöde Ding doch vor Augen. Es war nicht dein Zauber. Es war aber auch nicht dein Modell … he, was hast du eigentlich als Fokus für den Suchzauber benutzt?“
    „Eine Locke ihres Haars.“
    „Das ist Babyhaar.“
    „Na und?“
    Bob stieß einen unwilligen Laut aus. „So kann es überhaupt nicht klappen. Harry, stell dir mal ein Baby als riesige, unbemalte Leinwand vor. Molly hat sich ziemlich verändert, seit man ihr diese Locke abgeschnippelt hat. Sie hat mit der Person von damals kaum etwas gemeinsam. Es versteht sich von selbst, dass dein Spruch sie nicht ausfindig machen konnte.“
    „Verflucht“, donnerte ich. Daran hatte ich nicht gedacht, aber es ergab Sinn. Ich hatte bei diesem Zauber noch nie zuvor Babyhaar benutzt, außer einmal, um ein Baby zu finden. „Verdammt, verdammt!“
    Ein kleiner Fehler.
    Ich war auch nur ein Mensch, und ich hatte Molly im Stich gelassen.

34. Kapitel
    I ch wandte mich vom Tisch ab und schleppte mich ächzend und keuchend die Leiter in mein Wohnzimmer

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