Harry Dresden 08 - Schuldig
hatte die linke Hand aus purem Reflex eng an meine Brust gepresst. Mein Gleichgewicht hielt ich allein mit der Rechten. Ich wandte meine Aufmerksamkeit den wirbelnden Umschlägen zu und konzentrierte mich, bis die Illusion zu verblassen begann. Ich hob den echten Umschlag auf.
Lasciel Blick wankte nicht, und auf ihrem schönen Gesicht spiegelte sich unnachgiebige Entschlossenheit.
„Früher oder später werde ich alles durchdringen, was du mir entgegenzuwerfen hast“, keuchte ich, „das weißt du.“
„Ja“, sagte sie. „Aber du wirst dich nicht auf den Hellsichtspruch konzentrieren können, bis du mich losgeworden bist. Selbst wenn ich dich nur bis zum Sonnenaufgang daran hindere, besteht für dich keine Veranlassung mehr, es weiter zu versuchen.“ Sie hob ihr Kinn. „Was auch immer passiert, der Hellsichtspruch wird keinen Erfolg haben.“
Ich begann, leise zu kichern, und Lasciel starrte mich unverwandt an.
„Du übersiehst etwas“, sagte ich.
„Was denn?“
„Das Schlupfloch. Ich kann mich auch umbringen, während du hier die Puppen tanzen lässt. Schließlich ist die gesamte Übung hier ohnedies nur ein Selbstmordversuch. Warum sollte ich also nicht einfach weitermachen?“
Sie biss die Zähne zusammen. „Du würdest dich eher umbringen, als dich der Vernunft zu beugen?“
„Das wäre meiner Meinung nach eher Totschlag als Mord.“
„Du bist ja wahnsinnig“, stellte Lasciel fest.
„Hol mir ein Alka-Seltzer, und ich probiere das mit dem Schaum vor dem Mund.“ Diesmal warf ich Lasciel einen harten Blick zu. „Da draußen ist ein Kind, das meine Hilfe braucht. Ich würde eher sterben, als Molly im Stich zu lassen. Ich werde diesen Zauber wirken. Punkt. Verpiss dich!“
Sie schüttelte frustriert den Kopf und wandte ihren Blick mit gerunzelter Stirn ab. „Du wirst wahrscheinlich sterben.“
„Hängt die Schallplatte mal wieder?“, fragte ich. Ich fischte eine Locke feinen Babyhaars aus dem Umschlag, legte das Messer auf den Tisch und entzündete die zeremoniellen Kerzen, die ebenfalls dort standen. Der gefallene Engel hatte recht. Angst loderte gefährlich in mir hoch, und meine Finger zitterten so stark, dass ich die ersten zwei Streichhölzer zerbrach, anstatt sie anzustecken.
„Wenn du das schon unbedingt machen musst“, meldete sich Lasciel zu Wort, „dann versuche zumindest zu überleben. Lass mich dir helfen.“
„Du kannst mir helfen, indem du die Klappe hältst und verschwindest, zum Geier“, knurrte ich. „Höllenfeuer nutzt mir in dieser Situation nichts.“
„Das nicht“, stimmte Lasciel zu. „Aber es gibt noch einen Weg.“
In meinem Augenwinkel gleißte ein Leuchten auf. Als ich den Kopf in die Richtung wandte, bemerkte ich, wie ein silbernes Licht über dem Boden meines Beschwörungskreises waberte. Einen halben Meter darunter lag der schwarze Denar, in dem der Rest Lasciels gefangen war.
„Nimm die Münze“, beschwor sie mich. „Ich kann dich zumindest vor einer Rückkopplung schützen. Ich flehe dich an, dein Leben nicht einfach fortzuwerfen.“
Ich kaute auf meiner Unterlippe.
Verflucht noch mal, ich wollte nicht sterben, und der Gedanke, Molly im Stich zu lassen, war fast noch schlimmer als der Tod. Dem Herrn über eine der dreißig uralten Silbermünzen stand unbeschreibliche Macht zur Verfügung. Mit dieser zusätzlichen Schubkraft konnte ich den Spruch höchstwahrscheinlich meistern und würde mit Lasciels Schutz wahrscheinlich auch überleben, sollte er doch den Bach runtergehen. Irgendwie war mir klar, dass ich die Münze ohne Anstrengung innerhalb einer Sekunde unter dem Beton hervorholen konnte, wenn ich mich dazu entschied.
Ich starrte das silbrige Leuchten einen Atemzug lang an.
Dann verdrehte ich die Augen und seufzte. „Du bist ja immer noch da.“
Lasciels Gesicht verwandelte sich in eine emotionslose Maske, doch in ihrer Stimme lag ein kaum wahrnehmbarer, hässlich drohender Unterton. „Mit dir kann man viel besser reden, wenn du schläfst, mein Gastgeber.“
Dann war sie verschwunden.
Lautstark meldete sich die Furcht in meinem Innersten zurück.Ich versuchte, mich zu beruhigen, doch ich brachte es nicht zustande, mich ganz wie vorher von meinen Gefühlen zu lösen – bis ich an den kleinen Daniel dachte, dessen Wunden mir mein Magierblick offenbart hatte, der verletzt worden war, weil er seine Familie vor etwas hatte beschützen wollen, das ich ihr auf den Hals gehetzt hatte.
Ich dachte an Mollys Geschwister. Ich dachte
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