Harry Dresden 08 - Schuldig
Augenwinkel, wie Thomas eine Braue hob.
„Kacke?“, fragte Murphy. „Weshalb? Was ist das für ein Ort?“
Ich holte tief Luft. „Das Herz des Winters. Er ist wie …“ Ich schüttelte den Kopf. „Stell dir den Tower in London, Supermans Festung der Einsamkeit, Fort Knox und Alkatraz vor. Alles in einem. Was für ein Spaß. Es handelt sich um Mabs Regierungssitz. Ihre Trutzburg.“ Ich sah Lily an. „Wenn alles, was ich je über diesen Ort gelesen habe, stimmt. Ich war noch nie dort.“
„Deine Quellen waren ziemlich genau, Harry“, antwortete Lily. Sie war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache, und ich spürte ihre Anspannung. „Ich werde euch nur sehr wenig helfen können.“
„Weshalb?“, fragte ich.
Lily starrte mich kurz durchdringend an und meinte dann: „Meine Macht wird äußerst heftig reagieren, wenn sie auf die Königin Mabs trifft. Ich kann zwar einen Weg nach Arctis Tor öffnen, aber diesen Pfad bis zu eurer Rückkehr offenzuhalten wird meine gesamte Kraft erfordern. Außerdem besteht das Risiko, dass Wesen des tiefen Winters nach Chicago entkommen, solange ich den Weg offenhalte, was wiederum bedeutet, dass Fix hierbleiben muss, um das Portal zu bewachen. Ich kann ihn nicht guten Gewissens mitschicken.“
Ich sah die wabernden Lichter auf der Leinwand düster an. „Also sind wir auf uns allein gestellt, sobald wir drin sind.“
„Ja.“
Super. Ohne Lilys und Fix ’ Macht, um die der Winterfeen von Arctis Tor auszugleichen, würden unsere Erfolgschancen ganz schön in den Keller rasseln – außerdem hatte ich gehofft, ein unabhängiges Feentrio anzugreifen, das in irgendeiner Höhle oder unter einer Brücke oder so was herumlungerte. Ich hatte nicht vorgehabt, die Bastille zu erstürmen.
Ich blickte auf und sah Charity in die Augen.
Dann wandte ich mich wieder den tanzenden Lichtern auf der Filmleinwand zu und sagte: „Die Angelegenheit ist gerade um einiges schlimmer geworden. Ich gehe dennoch. Keiner von euch muss mitkommen. Ich kann nicht von euch erwarten …“
Ehe ich überhaupt ausgeredet hatte, waren Charity, Murphy und Thomas bereits an meine Seite getreten.
Kurz durchzuckten mich Wärme, Glücksgefühl, Stolz und Dankbarkeit wie ein Blitz. Mir war egal, wer mit wem die gleiche DNA teilte. Wenn die Kacke am Dampfen war, waren die Leute, die dir ohne zu zögern zur Seite standen, deine Familie – und sie waren meine Helden.
Ich nickte Lily zu. Sie schloss die Augen, und die leuchtenden Farben auf der Leinwand wurden immer reiner und irgendwie lebendiger. Die Luft wurde kalt.
„Na gut“, sagte ich leise. „Jeder von euch legt mir jetzt eine Hand auf die Schulter.“ Ich umklammerte meinen Magierstab und brummte: „Runde zwei.“
36. Kapitel
J edesmal, wenn ich einen Pfad ins Niemalsland öffnete, sah er ungefähr gleich aus – ein ausgefranster, vertikaler Riss in der Luft, durch den man die andere Welt sehen, hören und auch riechen konnte. Je länger ich diesen Riss aufrecht erhalten wollte, desto größer legte ich auch das Loch zwischen den Welten an. Einige erfahrenere Magier hatten in all den Jahren immer wieder angemerkt, ich hätte in dieser Beziehung noch eine ganze Menge zu lernen.
Als Lily nun das Portal nach Arctis Tor öffnete, verstand ich, weshalb. Licht und Farben wirbelten über die Leinwand, und der Strudel wurde immer schneller und tiefer. Zunächst geschah kaum etwas. Die Leinwand war immer noch nur eine Oberfläche. Dann jedoch stellten sich meine Nackenhaare auf, und ein kalter Wind peitschte mir ins Gesicht. In der Böe lagen der trockene, sterile Geruch des Winters weit oben in den Bergen und der schrille, einsame Ruf eines wilden Tieres, das man in unserer Welt noch nie zu Gesicht bekommen hat.
Ein tiefes Indigo errang die Vorherrschaft unter den Farben auf der Leinwand, und wenig später bildeten sich darin die Umrisse gewaltig aufragender Berge, die im Schein eines unglaublich riesigen, silbernen Mondes thronten. Es handelte sich um karge, lebensfeindliche Gipfel, von Nebel umwabert und von Eis und Schnee bedeckt. Der Wind stöhnte, seufzte und blies uns Eiskristalle ins Gesicht, bevor er für eine gewisse Zeit verebbte.
Das Schneegestöber legte sich lange genug, um mir einen Blick auf Arctis Tor zu ermöglichen.
Mabs Hochburg war eine Bastion aus schwarzem Eis, ein gigantischer, schattenhafter Quader, der hoch über uns auf der Flanke des majestätischsten Berges aufragte. Ein einzelner, eleganter Bergfried erhob sich
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