Harry Dresden 08 - Schuldig
möglich, bis ich meine Gedanken wieder vollständig unter Kontrolle hatte.
Ich sah mich um und stellte fest, dass meine Nackenhaare sich nicht nur wegen der Erinnerung an die Energie, mit der ich in Berührung gekommen war, gesträubt hatten.
Sie reagierten auf weitere Ströme, die gerade durch die Luft züngelten. Genau in diesem Augenblick. Ganz in der Nähe.
„Rawlins“, sagte ich. „Wie viele Polizisten sind sonst noch hier?“
„Im Augenblick nur ich“, antwortete er leise. Er sah mir intensiv ins Gesicht, um sich dann umzublicken. Seine Augen mit den schweren Lidern waren eindeutig wachsam, und er hatte seine Hand auf seine Waffe gelegt.
Dann gingen die Lichter aus, alle auf einmal, was das Hotel in tiefstes Schwarz tauchte – und dann begannen die Schreie.
12. Kapitel
N icht mehr als zwei bis drei Sekunden verstrichen, bis Rawlins seine Taschenlampe in der Hand hatte und sie aufblitzen ließ. Das Licht gleißte vielleicht für eine halbe Sekunde weiß und sauber, ehe es schwächer wurde, als hätte sich eine Schicht schmutzigen Rußes davor gelegt. Das Licht war zwar immer noch hell, aber bald so diffus und zerstreut, dass es kaum mehr vermochte, als den Raum eine Armlänge um Rawlins in ein schwaches Glühen zu tauchen.
„Was zur Hölle?“, fluchte er und schüttelte die Taschenlampe ein paarmal kräftig. Seine Hand ruhte auf seiner Pistole. Er hatte die Lederschlaufe längst gelöst, die Schusswaffe jedoch noch nicht gezogen. Guter Mann. Er wusste genau wie ich, dass viel mehr verängstigte Fans durch das Hotel stolpern würden als potenzielle Bedrohungen.
„Wir probieren meine aus“, schlug ich vor und nahm den silbernen Drudenfuß an der Kette von meinem Hals. Ich flüsterte sanft ein paar Worte und ließ ein wenig von meinem Willen in das Amulett fließen, das daraufhin begann, ein reines, weißblaues Licht auszustrahlen, das sich in die auf uns eindringende Finsternis fraß, bis wir etwa drei Meter um uns herum freies Blickfeld hatten. Dahinter lag nur unergründliche Dunkelheit – nicht so sehr wie Nebelschwaden, sondern vielmehr die absolute Abwesenheit von Licht.
Ich umfasste meinen Stab fest mit meiner rechten Hand und ließ mehr von meinem Willen in das Holz branden, wodurch die Runen und Sigillen, die sich der Länge nach über den Stab wanden, in einem dezenten Feuer wie orange glosende Kohlen zu brennen begannen.
Rawlins starrte mich für einen Atemzug unverwandt an. „Was zur Hölle passiert da gerade?“
In der Dunkelheit hörte ich überall Fußgetrappel, Schreie und Rufe. Doch selbst diese Laute klangen irgendwie dumpf und erstickt. Eines der beiden „Vampirmädchen“ taumelte schluchzend in meinen Kreis aus magischem Licht. Einige junge Männer kamen einen Augenblick später blind hinterher gestolpert, wobei sie das Mädchen beinahe zertrampelten. Mit einem Zischen packte Rawlins die Kleine am Arm. „Verzeihung, Miss.“ Mit diesen Worten zog er sie aus dem Weg. Er hatte sie mehr oder weniger mit seiner puren Körperkraft hochgestemmt und drückte sie sanft gegen eine Wand. Er zwang sie, zu ihm hochzusehen und sagte: „Folgen Sie dieser Wand bis zur Tür. Bleiben sie immer an der Wand, bis sie den Ausgang erreichen.“
Sie nickte, und ihre Tränen verwandelten ihr Make-up in einen Erdrutsch aus Wimperntusche. Dann taumelte sie in die Richtung davon, die ihr Rawlins gewiesen hatte.
„Feuer?“, rief Rawlins, der sich wieder mir zuwandte. „Das ist doch nicht etwa Rauch?“
„Nein“, beruhigte ich ihn. „Vertrauen Sie mir, ich weiß, wie ein brennendes Haus aussieht.“
Er bedachte mich mit einem seltsamen Blick, hielt eine ältere Frau auf, die ebenfalls halbblind an uns vorübereilte, und wies auch sie an, der Wand bis zum Ausgang zu folgen. Er fröstelte, und als er ausatmete, bildete sein Atem vor seinem Mund eisige Schwaden. Die Temperatur war im Zeitraum von nur einer Minute um gut zwanzig Grad gefallen.
Ich gab mir alle Mühe, die Rufe der in Panik umherirrenden Leute zu ignorieren, um mich auf meine magischen Sinne zu konzentrieren. Ich tastete die Kälte und die Dunkelheit ab und hatte den Eindruck, dass mir diese Art von Zauber nicht unbekannt war, auch wenn ich nicht sagen konnte, wann und wo sie mir zuletzt untergekommen war.
Ich drehte mich mit geschlossenen Augen langsam im Kreis und fühlte, wie die Dunkelheit undurchdringlicher und finsterer wurde, als ich mich im Flur wieder in Richtung der Eingangshalle gewandt hatte. Ich machte einen
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