Harry Dresden 08 - Schuldig
die Molly verschwunden war. „Hat die Sie in die Angelegenheit mit reingezogen?“
„Tochter eines Freundes“, bestätigte ich mit einem Nicken. „Habe die Kaution gestellt.“
Rawlins grunzte. „Verdammt schade um den Jungen. Ich habe mich an die Vorschriften gehalten, aber …“ Er schüttelte seinen Kopf. „Manchmal reichen die Vorschriften einfach nicht.“
„Das Mädchen glaubt, er sei unschuldig“, sagte ich.
„Die Mädchen glauben immer, dass sie unschuldig sind, Dresden“, sagte Rawlins ohne jede Bösartigkeit. „Das Problem ist, dass alle Hinweise darauf deuten, dass er es eben nicht ist. Die Hinweise reichen aus, einen Wiederholungstäter für einige Zeit in den Knast zu bringen, außer die Laborratten finden dort drinnen oder an dem alten Mann noch etwas, das seine Unschuld beweist. Was uns wieder zu dem Grund zurückbringt, warum Sie dort nicht reingehen.“
Ich nickte mit gerunzelter Stirn. „Was, wenn ich Ihnen sagen würde, es war etwas Übernatürliches?“
Er zuckte die Achseln. „Was, wenn Sie das sagen würden?“
„Es könnte etwas sein, das ich wiedererkenne, wenn ich einen Blick in den Raum werfen kann. Ich könnte dem Jungen eventuell helfen.“
Er musterte mich eindringlich aus halb zusammengekniffenen Augen. „Sie glauben, dass da irgendetwas Unheimliches rumspukt?“
„Ich habe dem Mädchen versprochen, mir das Ganze mal anzusehen.“
Rawlins zog die Stirn in Falten, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich kann Sie da nicht rein lassen.“
„Könnte ich einfach nur einen Blick hineinwerfen?“, bat ich. „Sie öffnen die Tür, und ich gehe nicht mal in den Raum. Ich schaue einfach. Das kann doch gar nicht so schlimm sein. Sie waren ja auch schon drin, und die Rettungssanis, und vielleicht sogar ein Detective. Habe ich recht? So sehr kann ich den Tatort gar nicht kontaminieren, wenn ich nur durch die Türe linse.“
Rawlins sah mich eine Weile gelassen an, dann jedoch seufzte er. Er grunzte, und die beiden vorderen Stuhlbeine hämmerten auf den Fußboden. Dann stand er auf und meinte: „Gut. Aber keinen Schritt hinein.“
„Sie sind Polizist und Gentleman“, versicherte ich ihm. Ich stieß die Tür der Toilette mit einem Ellbogen auf. Sie quietschte schauderhaft. Ich steckte meinen Kopf ins Innere des Raumes und sah mich in der Toilette um.
Das Übliche. Ein Pissoir. Weiße Kacheln. Kabinen. Urinale. Waschbecken. Ein langer Spiegel.
Das Blut gehörte nicht zur Standardausstattung.
Auf dem Fußboden befand sich eine große Pfütze, und es war überall verschmiert, was die Fliesen ganz schön rutschig machen musste. Verschiedene Fußspuren, die mit Blut umrandet waren, waren auf dem Boden zu sehen, und weitere Schmierer prangten an einem Waschbecken, wo das Opfer augenscheinlich versucht hatte, sich vom Boden hochzustemmen. Das Ganze sah erstaunlich furchterregend aus, was mich aber nicht wirklich überraschte. Ich sah nicht so viel Blut wie, sagen wir, bei einem Mord, aber es war immer noch mehr als genug. Jemand war offensichtlich äußerst versessen darauf gewesen, Clark Pell, das Opfer, möglichst übel zuzurichten. Ich konnte feine Blutspritzer auf dem Spiegel, hoch an den Wänden und sogar an einem Fleck an der Decke ausmachen.
„Jesus“, stöhnte ich, „und das war ein unbewaffneter Angriff? Keine Messer oder etwas Ähnliches?“
Rawlins grunzte. „Der Alte hatte gebrochene Rippen, blaue Flecken und Platzwunden, weil man ihn so übel durch den Raum geprügelt hat. Aber keine Stich- oder Schnittverletzungen.“
„Das hat kein Halbwüchsiger getan“, stellte ich fest.
„Das war auch kein Experte. An einem Ort, wo so viele Leute in der Nähe sind, noch dazu mit einem Zeugen auf der Toilette und einem Bullen nur sechs Meter weiter. Selbst der dümmste Schläger in Chicago würde niemals so eine Tracht Prügel an einem Ort austeilen, wo er jederzeit gesehen und gefasst werden könnte.“
„Irgendetwas Starkes“, murmelte ich, „und wirklich, wirklich Bösartiges. Es muss den alten Mann noch ein paarmal getroffen haben, nachdem er zu Boden gegangen war.“
Rawlins stieß nochmals ein Grunzen aus. „Klingt das wie jemand, den Sie kennen?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich blickte in den Raum, kaute einen Augenblick lang auf meiner Unterlippe herum und fasste dann einen Entschluss. Ich schloss die Augen und machte meine Gedanken frei.
„Das reicht“, sagte Rawlins. „Machen Sie die Tür zu, bevor die Leute noch zu gaffen
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