Harry Dresden 08 - Schuldig
Schwert mit einer fast blendend grellen Klinge hing unter ihrem linken Arm, dort, wo ich unter ihrem Baumwollblazer ihr Pistolenhalfter wusste. Sie sah mich an, und ich konnte ihr stoffliches Gesicht als verschwommenen Schatten unter ihrem jetzigen Erscheinungsbild ausmachen. Sie schenkte mir ein Lächeln, in dem ich ein Licht wie warme Sonnenstrahlen fühlen konnte, auch wenn ihr reales Gesicht ernst war. In diesem Augenblick sah ich das Leben und die Gefühle, die sich hinter ihrem Gesicht versteckten.
Ich wandte meine Augen ab, um zu verhindern, dass wir einander zu lange in die Augen sahen – doch es machte mir nicht das Geringste aus, dieses Lächeln für immer in meinen Erinnerungen zu tragen.
Rosie hingegen war eine ganz andere Geschichte.
Die Rosie in der stofflichen Welt war eine kleine, federleichte, bleiche junge Frau mit feinen, zerbrechlichen Zügen. Die Rosie, die mir der Magierblick zeigte, war etwas komplett Anderes. Ihre blasse Haut war zu einer kränklich bleichen, ledrigen Hülle geworden. Ihre dunklen Augen sahen viel größer aus und huschten nervös und ruckartig wie ein aufgescheuchter Vogel hin und her. Es waren tückische Augen, was sie irgendwie gefährlich wirken ließ, wie einen streunenden Hund oder eine Ratte – die Augen eines verängstigten, verzweifelten Überlebenskünstlers.
Sich windende Arterien einer grünlich schwarzen Energie zogen sich unter ihrer Haut dahin, besonders im Bereich der Beuge ihres linken Armes. Die zuckenden Energiefäden endeten an der Oberfläche ihrer Haut, wo sie in Dutzenden winziger, ständig nach Luft schnappender Mäuler mündeten – die Nadelspuren, die mir bereits letzte Nacht aufgefallen waren. Ihre rechte Hand huschte weiter nervös über ihren linken Arm, als wolle sie eine ständig juckende Stelle kratzen. Aber ihre Finger konnten die Stelle nicht finden. Eine Schicht aus gleißenden Funken hatte sich wie ein Fäustling über ihre Hand gelegt, und es war ihr nicht möglich, die unersättlichen Münder zu berühren. Doch noch schlimmer – auf ihren Schläfen konnte ich eine Art Brandwunden erkennen: kleine, saubere, schwarze Löcher, als hätte jemand eine glühende Nadel durch die Haut und den Schädel darunter gebohrt. Eine Art Phantomblut umgab diese Verletzungen, doch ihre Augen waren geweitet und unscharf, als ob ihr das alles überhaupt nicht aufgefallen sei.
Was zur Hölle ...? Ich hatte bereits früher die Opfer psychischer Angriffe gesehen, und es war nie ein hübscher Anblick gewesen. Für gewöhnlich ähnelten sie den Opfern eines Haiangriffs oder sahen aus wie jemand, den ein Bär zerfleischt hatte. Doch ich hatte noch nie Verletzungen gesehen, wie sie Rosie hatte. Es machte eher den Eindruck, als hätte ein dämonischer Chirurg mit einem Laserskalpell an ihr herumgefuhrwerkt. Das ließ die Nadel des Freakometers über die Skala hinausschießen.
Mein Herz begann zu rasen, und ich beendete den Blick. Ich lehnte mich für eine Sekunde mit der Hüfte gegen die Wand und rieb meine Schläfen, bis das stechende Pulsieren schwächer wurde und ich mir völlig sicher war, dass meine normale Sicht vollständig wiedergekehrt war.
„Rosie“, unterbrach ich Murphy, die gerade mitten in einer Frage war. „Wann haben Sie sich den letzten Schuss gesetzt?“
Murphy warf mir mit gerunzelter Stirn einen harten Blick über die Schulter zu. Hinter ihr sah das Mädchen schuldbewusst aus der Wäsche, und ihr Blick wich zur Seite aus. „Wie meinen Sie das?“, fragte Rosie.
„Ich nehme an, es war Heroin“, sagte ich. Ich gab mir alle Mühe, gerade laut genug zu sein, dass sie mich verstehen konnte. „Ich habe gestern die Nadelspuren bemerkt.“
„Ich habe Diab…“, begann sie.
„Ich bitte Sie“, meinte ich und ließ zu, dass sich mein Groll in meiner Stimme zeigte. „Glauben Sie wirklich, ich sei so dämlich?“
„Harry“, begann Murphy mit einem warnenden Unterton, aber ich hatte bereits zu schlimmes Kopfweh, als dass mich das aufgehalten hätte.
„Miss Marcella. Ich versuche, Ihnen zu helfen. Bitte beantworten Sie meine Frage.“
Sie schwieg eine Weile, dann erwiderte sie: „Vor zwei Wochen.“
Murphy zog eine Augenbraue hoch, und ihr Blick schweifte zu dem Mädchen zurück.
„Ich habe aufgehört“, stotterte Rosie. „Wirklich. Ich meine, als ich erfuhr, dass ich schwanger bin … ich kann es einfach nicht mehr.“
„Tatsächlich?“, bohrte ich nach.
Sie sah zu mir auf, und ihr Blick war direkt, aber keineswegs
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