Harry Dresden 09: Weiße Nächte
sie liebevoll am Bein an und ließ sich wieder auf den Boden sinken.
„Er wird noch mal vorbeischauen, falls du noch was benötigst“, sagte ich mit einer bedeutungsschwangeren Stimme zu Murphy. „Ein durchgeknallter, großer Mann wie ich macht einem schnuckeligen, süßen Ding wie dir bestimmt nur Schwierigkeiten.“
„Mouse“, sagte Murphy. „Wenn ich Harry bewusstlos schlage und ihm mit einem Permanentmarker ‚unerträglicher Klugscheißer’ auf die Stirn kritzle, wirst du ihm dann dabei helfen, das zu lesen?“
Mouse linste zu Murphy empor und legte gedankenvoll den Kopf zur Seite. Dann nieste er und legte sich wieder auf den Boden.
„Warum hast du ihn so angeschnauzt?“, fragte Murphy mich.
Ich nickte in Richtung eines Münztelefons an der Wand neben einem Wasserspender und dem Getränkeautomaten. „Ich erwarte einen Anruf.“
„Ah“, sagte Murphy. „Wo ist Molly?“
„Die wäre fast im Stehen eingeschlafen. Rawlins hat sie für mich heimgefahren.“
Murphy grunzte. „Ich habe dir schon angedroht, dass wir über sie sprechen müssen.“
„Ja“, antwortete ich.
„Was du getan hast, Harry …“ Murphy schüttelte den Kopf.
„Sie hat das gebraucht“, sagte ich.
„Sie hat das gebraucht.“ Die Worte waren unwirsch.
Ich zuckte die Achseln. „Die Kleine hat Macht. Sie glaubt, alles besser zu wissen. Das ist riskant.“
Auf Murphys Stirn bildete sich eine Denkfalte, doch sie hörte zu.
„Ich hatte die Sache mit der Kugel aus gesichtsschmelzendem Sonnenschein jetzt schon eine ganze Weile geplant“, erklärte ich. „Ich meine, komm schon. Feuer kann man nur schwer kontrollieren. Ohne Übung hätte ich so etwas nicht zustande gebracht, und man kann einen ästhetischen, langsamen, theatralischen, gesichtsschmelzenden Feuerball ja wohl auch kaum in einem Kampf einsetzen.“
„Vielleicht nicht“, sagte Murphy.
„Mir ist vor einiger Zeit auch etwas mit einem gesichtsschmelzenden Ding passiert, und das hat Eindruck hinterlassen“, berichtete ich. „Molly … hatte einen schlechten Start. Sie hat ihre Magie dazu verwendet, ihre Umgebung zu formen. Die Leute um sie herum. Murph … man kann mit Magie nicht das Geringste erreichen, wenn man nicht daran glaubt. Als Molly das tat, hat sie daran geglaubt, das Richtige zu tun. Jetzt stell dir mal ihre Eltern vor. Wie weit die gehen würden, um das Richtige zu tun.“
Das tat Murphy auch, ihre blauen Augen durchdrangen mich schier, und ihr Gesichtsausdruck war unleserlich.
„Ich muss sie hier und da auf die Schnauze fallen lassen“, fuhr ich fort. „Wenn ich das nicht tue, wenn ich zulasse, dass sie ihr Gleichgewicht findet, ehe sie schlau genug ist, herauszufinden, warum sie etwas tut anstatt wie oder ob sie etwas überhaupt tun kann, wird sie wieder beginnen, das“, ich zeichnete mit meinen Fingern Anführungszeichen in die Luft, „’Richtige’ zu tun. Sie wird wieder die Gesetze brechen, und sie werden sie töten.“
„Dich auch?“, fragte Murphy.
Ich zuckte die Achseln. „Das steht auf der Liste meiner Sorgen viel weiter unten.“
„Glaubst du, das, was du getan hast, wird es verhindern helfen?“, fragte sie.
„Das hoffe ich stark“, sagte ich. „Keine Ahnung, was ich sonst tun sollte. Im Endeffekt hängt alles von Molly ab. Ich versuche nur, ihr genug Zeit zu geben, es endlich zu raffen. Auch wenn sie sich selbst im Weg steht. Herrjemine, hat das Mädel einen Dickschädel.“
Murphy grinste mich an und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß“, sagte ich. „Ich weiß. Glashaus. Steine.“
„Ich habe gar nicht das gesichtsschmelzende Ding gemeint, Harry“, sagte sie nach einiger Zeit. „Nicht direkt. Ich wollte eigentlich über deinen Gesichtsausdruck sprechen, kurz bevor du das Feuer verschwinden ließest. Worauf ich hinaus will, ist, was vor einem Jahr mit den Filmmonstern in diesem Hotel geschah.“
Nun war ich an der Reihe, die Stirn zu runzeln. „Was?“
Murphy schwieg eine Minute, offensichtlich legte sie sich ihre nächsten Worte mit demselben Bedacht zurecht, mit dem ein Bombentechniker des Entminungsdienstes die Drähte unter die Lupe nimmt. „Es gibt Zeitpunkte, da frage ich mich, ob du die Kontrolle verlierst. Du hattest immer schon jede Menge Wut in dir. Aber in den letzten Jahren ist es schlimmer geworden. Viel schlimmer.“
„Bockmist“, brummte ich.
Murphy musterte mich mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich, mich wieder auf die Bank zu
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