Harry Dresden 09: Weiße Nächte
nicht wirklich sehen, aber sie starrte in die Richtung, als könne ihr Blick die Kühlerhaube durchdringen und meinen Hund bei seiner schrecklichen Arbeit beobachten.
„So“, fragte ich Thomas. „Wie hat Lara es geschafft, dich am Reden zu hindern?“
Mein Bruder drehte sich in meine Richtung und grinste breit. Dann wischte er sich über das Gesicht und verkündete mit der Stimme eines Radiomoderators auf Glückspillen: „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden, Wächter Dresden!“ Er blinzelte. „Aber rein hypothetisch gesprochen wäre es möglich, dass sie angedeutet hätte, dass Justine in Gefahr wäre und sie mir nicht eher etwas sagen würde, als bis ich versprochen hatte, die Klappe zu halten.“
„Den Scheiß hast du ihr durchgehen lassen?“, wunderte ich mich.
Thomas zuckte die Achseln und sagte: „Sie gehört zur Familie.“
Molly hechtete plötzlich aus dem Käfer und übergab sich geräuschvoll.
„Wirkt ein wenig zerbrechlich“, sagte Thomas.
„Sie gewöhnt sich gerade an all das“, erwiderte ich. „Madrigal und sein Malvora-Kumpel sind noch da draußen.“
„Ja“, sagte Thomas. „Na und?“
„Das bedeutet, das hier war nur eine Aufwärmrunde. Sie stellen immer noch eine Bedrohung dar“, sagte ich. „Sie haben genügend Leichen produziert, um vor den Weißen Hof zu treten und Leute wie den Ordo zu einer Art Mittagsbüffet zu erklären. Wenn das passiert, wird nicht nur ein Skavis durch die Gegend scharwenzeln, um sich zu beweisen. Das wird ein geheimer Feldzug werden. Zigtausende werden ins Gras beißen.“
Thomas grunzte. „Ja. Aber da können wir leider kaum etwas machen.“
„Sagt wer?“, erwiderte ich.
Er zog die Stirn in Falten und legte den Kopf schief.
„Thomas“, flüsterte ich. „Ist rein zufällig in der nächsten Zeit eine Zusammenkunft des Weißen Hofes anberaumt? Vielleicht in Verbindung mit dem vorgeschlagenen Gipfeltreffen?“
„Selbst wenn es übermorgen ein Treffen der mächtigsten hundert Adligen des Weißen Hofes auf dem Anwesen meiner Familie gäbe, könnte ich dir nichts darüber sagen“, sagte Thomas. „Weil ich meiner Schwester mein Wort gegeben habe.“
„Deine Schwester hat echt Eier“, gab ich anerkennend zu, „und sie weiß, wie man eine Show hinlegt.“ Ich schielte zu dem zerstörten Hotel hinüber und streckte die Hand aus, um Mouse hinter den Ohren zu kraulen. Sie waren wahrscheinlich der einzige Teil des Hundes, der nicht mit blassem Blut verschmiert war. „Natürlich bin auch ich dafür bekannt, dass ich es das ein oder andere Mal richtig habe krachen lassen.“
Thomas verschränkte die Arme und wartete. Sein Grinsen erinnerte mich an einen Fuchs.
„Ruf Lara an“, sagte ich. „Übermittle ihr eine Nachricht von mir.“
Thomas’ Augen verengten sich. „Welche Nachricht?“
Ich fletschte die Zähne und erwiderte sein Lächeln.
32. Kapitel
M urphy war vielleicht offiziell nicht mehr Leiterin der Sondereinheit, aber ich glaube nicht, dass das für besonders viele Detectives dort einen großen Unterschied machte. Sie brauchte Hilfe, und wenn sie um sie bat, kamen sie auch. Ende der Geschichte.
Zumindest, was die Polizei anbelangte. Für Murphy allerdings war es erst der Anfang der Geschichte, und Geschichten musste sie im Hauptquartier der Polizei wahrlich am laufenden Band erzählen. Es war Teil ihrer Arbeit. „Oh, nein, hinter diesen Berichten über Vampirangriffe steckten in Wahrheit Halluzinationen im Drogenrausch. Troll? Das war ein großer, extrem hässlicher Mann, der wahrscheinlich besoffen oder zugedröhnt war. Er ist leider entkommen, die Ermittlungen laufen noch.“ Jeder glaubte diese Geschichten, und dafür wurde die Sondereinheit auch bezahlt – den Schwarzen Mann wegzurationalisieren.
Murphy hätte Romanautorin werden sollen, so viele Geschichten, wie sie erzählt.
Wir hatten einen ganz schönen Sauhaufen hinterlassen, doch Murphy und ihre Kollegen von der Sondereinheit würden sicherstellen, dass alles ins richtige Licht gerückt würde. Terroranschläge waren gerade der letzte Schrei, und in diesem Bericht würden Terroristen wahrscheinlich ebenfalls eine große Rolle spielen. Panische religiöse Fanatiker und Terroristen, die schon vorher Brandbomben in einem Gebäude und ihrem Auto deponiert hatten, waren höchstwahrscheinlich auch für die Explosion in einem billigen Motel im Süden der Stadt verantwortlich. Es gab schließlich keine Leichen, die man vom Beton kratzen musste – nur
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