Harry Dresden 09: Weiße Nächte
der Weiße Hof wird die Teile des Planeten übernehmen, die sich als zivilisiert ansehen und so aufgeklärt und weise sind, dass dort niemand mehr an das Übernatürliche glaubt. Ihr werdet auf euch allein gestellt sein.“
„Ihr?“, fragte Murphy.
„Die Menschheit“, sagte ich. „Die Sterblichen.“
Mouse drückte seinen Kopf etwas fester an meinen Schuh. Stille hatte sich über den Raum gesenkt, und ich spürte, wie Murphy mich anstarrte.
„Komm schon, Karrin“, sagte ich. Ich zwinkerte ihr zu und hievte mich auf meine entkräfteten Beine. „Das wird nicht passieren, solange ich am Leben bin.“
Murphy erhob sich mit mir. „Du hast einen Plan“, stellte sie fest.
„Ja.“
„Wie lautet der Plan, Harry?“
Ich sagte es ihr.
Sie sah mich eine Sekunde lang an und sagte dann: „Du bist völlig verrückt.“
„Sieh es positiv, Murph. Du nennst es verrückt, ich nenne es unwägbar.“
Sie schürzte nachdenklich die Lippen und sagte dann: „Viel höher als völlig verrückt kann ich nicht gehen.“
„Bist du dabei?“, fragte ich sie.
Murphy sah eingeschnappt aus. „Was ist denn das für eine Frage?“
„Du hast recht“, sagte ich. „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“
Wir gingen gemeinsam.
33. Kapitel
I ch blieb noch lange auf, um Vorbereitungen zu treffen, von denen ich hoffte, sie würden Madrigal und seinem Malvora-Kumpel endgültig ein Bein stellen und die Machtkämpfe am Weißen Hof beenden. Danach würde ich mich wahrscheinlich daran machen, Wasser in Wein zu verwandeln und über Wasser zu gehen (auch wenn ich rein technisch gesehen das zweite bereits erledigt hatte).
Nachdem ich fertig damit war, finstere Pläne auszubrüten, schleppte ich meinen müden Körper ins Bett und schlief tief und fest, allerdings nicht lange. Zu viele Träume von Dingen, die schiefgehen konnten.
Auf der Suche nach Frühstück kramte ich in meinem Kühlschrank, als Lasciel neben mir erschien. Der gefallene Engel gab sich ganz kleinlaut, und in seiner Stimme spiegelte sich etwas, was ich überhaupt nicht gewohnt war – Unsicherheit. „Glaubst du ehrlich, dass sie sich ändern kann?“
„Wer?“
„Deine Schülerin“, sagte Lasciel. „Glaubst du, sie kann sich ändern? Glaubst du, sie kann sich im Zaum halten, wie du es erhoffst?“
Ich drehte mich vom Kühlschrank um. Lasciel stand mit verschränkten Armen vor dem leeren Kamin und musterte mich nachdenklich. Sie trug ihre übliche Tunika, doch ihr Haar war etwas zerzaust. Ich hatte nicht sehr lang oder gut geschlafen. Vielleicht war das bei ihr ebenfalls der Fall.
„Warum fragst du?“, wollte ich von ihr wissen.
Sie zuckte die Achseln. „Es scheint mir nur, als hätten sich bei ihr schon feststehende Verhaltensweisen herausgebildet. Sie stellt ihr lausiges Denkvermögen über die Weisheit anderer. Sie ignoriert die Wünsche anderer, ja sogar deren freien Willen, und ersetzt sie durch ihre eigenen.“
„Das war eine einmalige Sache“, sagte ich ruhig. „Na ja, rein technisch gesehen kam es zweimal vor. Vielleicht war das eine ihrer ersten bedeutenden Entscheidungen und sicherlich eine schlechte. Aber das bedeutet nicht, dass sie diesen Fehler immer wiederholen wird.“
Schweigen herrschte, während ich mir ein Truthahnsandwich, eine Schale Fruit Loops und eine kalte Dose Cola herrichtete: das Frühstück wahrer Helden. Das hoffte ich zumindest. „Gut“, sagte ich. „Was hältst du von dem Plan?“
„Ich glaube, es besteht nur eine marginal größere Chance, dass du von deinen Feinden getötet wirst als von deinen Verbündeten, mein Gastgeber. Du bist verrückt.“
„Das ist doch das Salz in der Lebenssuppe“, sagte ich.
Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich kenne Sterbliche jetzt schon seit Jahrtausenden, mein Gastgeber. Nur wenige haben sich bisher so gelangweilt.“
„Du hättest mal die Pläne sehen sollen, die ich noch vor ein paar Jahren ausgetüftelt habe. Die Pläne von heute sind dagegen ästhetische Geniestreiche!“ Ich fand keine Milch im Kühlschrank und war nicht so verzweifelt, meine Cola über meine Fruit Loops zu schütten. Das wäre einfach falsch gewesen. Also knabberte ich die Fruit Loops trocken und spülte mir jeden Mundvoll feierlich mit Cola hinunter. Dann warf ich Lasciel einen Blick zu und sagte: „Ich habe mich geändert.“
Kurz herrschte Stille, die nur das Knirschen der herzhaften Weizen-, Roggen- oder was auch immer für Ringe durchbrach. Ich wusste nur, dass sie gut für mein
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