Harry Dresden 09: Weiße Nächte

lümmeln. Dann sagte ich: „Du glaubst also, ich habe ein Wutproblem?“
    „Als du diesen Müllcontainer zerstört hast, hast du ihn in einem Augenblick purer Frustration eingeschmolzen. Du hast ihn vollständig zerstört und tausend Dollar Schaden angerichtet. Am Bürgersteig, am Gebäude dahinter, in den Geschäften darin …“
    „Die sich alle in Marcones Gebäude befinden“, blaffte ich.
    „Ich bin mir absolut sicher“, sie schlug ihr kleines Notizbuch auf, „dass die Kassendamen bei Spresso Spress oder dem Badezubehörladen nicht das Geringste von Marcone wissen, und dass es ihnen auch egal wäre. Die wollen einfach nur zur Arbeit gehen, um ihre Rechnungen zu bezahlen.“
    Ich funkelte sie an. „Was?“
    „Betontrümmer und geschmolzenes Metall haben beide Geschäfte getroffen. Die bleiben sicher für die nächsten Wochen geschlossen, um zu renovieren.“
    „Die sind versichert“, sagte ich. Ich klang nicht gerade so, als würde ich tatsächlich daran glauben, dass es keinen Unterschied machte, nicht einmal in meinen Ohren.
    „Menschen sind zu Schaden gekommen“, sagte Murphy. „Niemandem ist das Gesicht geschmolzen, aber das ist nicht der Punkt. Du weißt, worum es geht. Du weißt, wie viel Schaden du anrichten kannst, wenn du nicht aufpasst.“
    Ich schwieg.
    „Es ist genau wie wenn man Polizistin ist. Sich mit Kampfkunst auskennt. Ich weiß, ich kann Leuten echt hässliche Sachen antun. Es ist meine Aufgabe sicherzustellen, dass Menschen eben diese hässlichen Sachen nicht zustoßen. Ich bin vorsichtig, wie ich die Macht, die mir zur Verfügung steht, einsetze …“
    „Das sage ich das nächste Mal meinem Zahnarzt“, sagte ich.
    „Sei jetzt bitte nicht kleinlich“, sagte sie mit ernster Stimme. „Ich habe Fehler gemacht. Sie eingestanden. Mich bei dir entschuldigt. Ich kann nicht ändern, was geschehen ist, und das ist unter deinem Niveau.“
    Außer, dass es das vielleicht nicht war. Ich schämte mich für die Anmerkung.
    „Worauf ich hinaus will“, sagte Murphy leise, „ist: Du hast genau gewusst, welchen Schaden du anrichten kannst. Aber wenn dein Vortrag vorhin der Wahrheit entspricht, dann hast du in dem Augenblick, als du deine Magie benutzt hast, geglaubt, es sei richtig. Du hast geglaubt, es sei völlig in Ordnung, etwas zu zerstören, nur weil du wütend warst. Auch wenn dabei jemand zu Schaden kommen konnte, der es nicht verdient hat.“
    In meiner Brust brodelte Zorn hoch und …
    … und …
    Heilige Scheiße.
    Murphy hatte recht.
    Das Engelssiegel, der einzige unverbrannte Flecken Haut an meiner linken Hand, juckte wie wahnsinnig.
    „Oh, Hölle“, flüsterte ich. „Glashaus. Steine. Den ganzen Tag.“
    Murphy saß neben mir, sagte nichts, warf mir keine Anschuldigungen entgegen. Sie saß nur da.
    Freunde tun so etwas.
    Ich streckte die rechte Hand aus, mit der Handfläche nach oben.
    Murphy schloss ihre Hand darum. Ihre Finger waren warm, klein und stark.
    „Danke“, sagte ich zu ihr.
    Sie drückte meine Hand. Dann stand sie auf und schlenderte zum Getränkeautomaten. Sie kam mit einer Dose Cola und einer Dose Cola Light zurück und streckte mir die nicht widerliche hin. Wir öffneten die Dosen und tranken.
    „Wie geht’s der Ex?“, fragte sie.
    „Wird durchkommen“, sagte ich. „Hat viel Blut verloren, aber sie ist AB negativ. Sie haben sie genäht und den Tank aufgefüllt. Der Schock ist das Problem, sagen zumindest die Ärzte.“
    „Aber da steckt mehr dahinter, nicht?“
    Ich nickte. „Thomas meint, dass sie nach dem Bissen, den der Skavis aus ihr herausgerissen hat, noch ein paar Tage brauchen wird, um wieder auf die Beine zu kommen. Das ist beruhigend.“
    Murphy musterte mich aufmerksam und runzelte die Stirn. „Aber dir stößt übel auf, dass ... ach, ich weiß auch nicht. Dass sie dir die Show gestohlen hat?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Sie braucht mir die Show nicht stehlen, Murphy, und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, kann ich ja eine noch größere hinlegen.“ Ich grinste. „Muss aber zugeben, dass ich noch nie zuvor beobachtet habe, wie sie derart ausgeteilt hatte.“
    „Eindrucksvoll“, gab auch Murphy zu.
    Ich zuckte mit den Schultern. „Ja. Aber sie hatte es unter Kontrolle. Niemand sonst wurde verletzt. Nicht einmal das Gebäude selbst ist niedergebrannt.“
    Murphy schielte aus den Augenwinkeln zu mir herüber. „Wie ich schon gesagt habe …“
    Ich grinste und wollte schon zur nächsten Flachserei ansetzten, doch dann