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Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Titel: Harry Dresden 09: Weiße Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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sich nach dem Fremden erkundigen wollte, der gerade mit einem gewaltigen Flauschmammut hier hereinspaziert war. Wenn ich abnahm und Thomas nicht hier war, würde das höchstwahrscheinlich Verdacht erregen. Noch mehr als ohnehin schon. Wenn ich ihnen allerdings den Anrufbeantworter zum Fraß vorwarf, wäre er so schlau wie zuvor. Ich wartete.
    Der Anrufbeantworter piepte, und eine Aufnahme der Stimme meines Bruders verkündete: „Ihr kennt alle die Routine.“ Dann piepste es nochmal.
    Eine Frauenstimme floss wie warmer Honig aus dem Anrufbeantworter. „Thomas“, sagte sie. Sie hatte einen nicht näher einzuordnenden europäischen Akzent und sprach den Namen „Too-mass“ aus, wobei sie die zweite Silbe betonte. „Thomas“, fuhr sie fort. „Alessandra hier. Ich brauche dich. Ich muss dich heute noch sehen. Ich weiß, es gibt viele andere, aber ich halte es nicht mehr aus. Ich muss dich haben.“ Ihre Stimme wurde vor Lüsternheit rauchig. „Es gibt niemanden, absolut niemanden sonst, der für mich das Gleiche tun könnte. Enttäusche mich nicht. Bitte.“ Sie hinterließ eine Nummer, und bei ihrer Stimme klang das wie Vorspiel. Als sie auflegte, fühlte ich mich schon unangenehm peinlich berührt, weil ich das alles belauscht hatte.
    Ich seufzte und wandte mich an Mouse. „Ich brauche so dringend wieder mal Sex.“
    Zumindest wusste ich nun, womit Thomas seinen Hunger gestillt hatte. Alessandra und die „vielen anderen“ mussten seine Nahrung sein. Ich fühlte mich … in dieser Angelegenheit irgendwie zwiegespalten. Er konnte den dämonischen Teil seines Wesens durch eine Vielzahl verschiedener Opfer nähren, wodurch er den Schaden, den er anrichtete, verteilte und so die Gefahr reduzierte, sich an einem Opfer tödlich zu überfressen. Doch auch so bedeutete das, dass er zahlreiche Menschenleben durch seine Umarmung besudelt hatte. Frauen, die nun der Sucht erlegen waren, sich dem Gefühl hinzugeben, das entstand, wenn er sich an ihnen labte – die nun unter seinem Einfluss, seiner Kontrolle standen.
    Es war eine Art Macht, und Macht verdarb den Charakter. So viel Einfluss über andere auszuüben brachte viele Versuchungen mit sich, und Thomas hatte in der letzten Zeit etwas abwesend gewirkt. Sehr sogar.
    Ich atmete tief durch und sagte: „Immer langsam mit den jungen Pferden, Harry. Er ist dein Bruder. Unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist, klar?“
    „Klar“, erwiderte ich mir selbst.
    Ich beschloss, Thomas eine Nachricht zu hinterlassen. Ich hatte aber kein Papier zur Hand. Auch in der stilvoll-sterilen Küche und dem Wohnzimmer wurde ich nicht fündig – im Schlafzimmer ebenfalls nicht. Ich schüttelte den Kopf, murmelte irgendetwas Gemeines über Leute, die für ein normales Leben einfach nicht fähig waren, und nahm das zweite Schlafzimmer unter die Lupe.
    Ich knipste das Licht an, und mir blieb das Herz stehen.
    Der Raum sah aus wie das Büro von Rambos Buchhalter. An einer Wand stand ein Schreibtisch mit Rechner. Tische säumten zwei weitere Wände. Einer war dazu bestimmt, zwei fein säuberlich zerlegte Waffen zur Schau zu stellen – zwei Maschinenpistolen, deren Typ mir auf den ersten Blick unbekannt war. Ich erkannte allerdings sofort den Bausatz, mit dessen Hilfe man legale halbautomatische in illegale vollautomatische Waffen umbauen konnte. Der zweite Tisch erweckte den Eindruck einer Werkbank mit allen nötigen Werkzeugen, um die Waffen zu modifizieren und selbst Munition nach eigenem Geschmack zusammenzubasteln. Es wäre sicher ein Leichtes gewesen, hier auch Sprengkörper wie Rohrbomben mit den vorhandenen Mitteln herzustellen, wenn der schwere Behälter unter dem Tisch, wie ich vermutete, Sprengstoff enthielt.
    Ein fieser Gedanke schoss mir durch den Kopf: Man konnte genauso gut auch Brandsätze daraus basteln.
    Eine Wand nahm eine Pinnwand aus Kork ein. Zettel waren daran gepinnt. Pläne. Schnappschüsse.
    Ich ging mit schweren, zaudernden Schritten zu diesen Aufnahmen.
    Es waren die Bilder toter Frauen.
    Ich kannte sie alle.
    Die Opfer.
    Bei den Fotos handelte es sich um so etwas wie Polaroidaufnahmen. Sie waren ein wenig körnig, die Szenen waren vom grellen Licht eines billigen Blitzes erhellt, doch sie waren vom Winkel her fast deckungsgleich mit den Polizeifotos – mit einem Unterschied: Bei den Polizeifotos gab es eine Art Index, kleine Kärtchen aus Plastik mit großen Ziffern, die in jeder Einstellung erschienen, denen ein Diagramm beigelegt war, genau was sie aus

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