Harry Dresden 09: Weiße Nächte
CDs. Eine neue Videospielkonsole ruhte auf einem Regal, die Verkabelung war gewissenhaft verstaut. Zwei Filmposter zierten die Wände: Das zauberhafte Land und Die Piraten von Penzance mit Kevin Kline als Piratenkönig.
Gut. Es war klar, dass mein Bruder bestens für sich alleine sorgen konnte. Auch wenn ich mich wunderte, was er anstellte, um das Geld zusammenzubekommen, das notwendig war, sich diese feudale Unterkunft zu leisten.
Die Küche ähnelte dem Wohnzimmer – eine Menge des mir jetzt schon vertrauten Edelstahls, Gerätschaften in Schwarz, auch wenn hier die Wände weiß gestrichen und der Boden sauteuer gefliest worden waren. Alles war tipptopp aufgeräumt. Kein schmutziges Geschirr, keine halboffenen Küchenschränke, keine Kochflecken, kein herumliegender Papierkram. Alle Oberflächen waren leer und keimfrei. Ich überprüfte die Küchenschränke. Das Geschirr sauber gestapelt, die Stapel passten haargenau in die Schränke.
Das ergab überhaupt keinen Sinn. Thomas besaß viele positive Eigenschaften, doch er war ein Faulpelz. „Jetzt hab’ ich’s! Er ist tot“, sagte ich laut. „Mein Bruder ist tot und durch irgendeinen bösen, obsessiven Zwangsneurotikerklon ersetzt worden.“
Ich warf einen Blick in den Kühlschrank. Ich konnte nicht anders. Das war eines der Dinge, die man einfach tun musste, wenn man in der Wohnung eines anderen herumschnüffelte. Er war mit Ausnahme einer Weinkiste und etwa fünfzig Flaschen von Thomas’ Lieblingsbier, einer von Macs Braukreationen, leer. Mac hätte Thomas erdrosselt, wenn er herausgefunden hätte, dass er das Bier kühlte. Na ja. Er hätte verärgert aus der Wäsche geschaut. Bei Mac war das wie bei anderen Leuten ein Blutrausch.
Ich warf einen Blick in die Gefriertruhe. Sie war randvoll mit Fertignahrung in säuberlichen Stapeln. Es gab drei verschiedene Menüs in drei unterschiedlichen Stapeln. Es war gerade noch Platz für neun bis zehn weitere Packungen, von denen ich annahm, Thomas habe sie verputzt. Wahrscheinlich ging er nur alle paar Monate einkaufen. Das sah ihm schon ähnlicher – Bier und Essen, das man per Knopfdruck in der Mikrowelle kochen konnte. Es war kein Geschirr notwendig, und in der Schublade neben der Gefriertruhe fand ich einen Behälter voller Messer und Gabeln aus Plastik. Mampfen. Wegwerfen. Weder Kochen noch Putzen notwendig.
Ich sah mich in der restlichen Küche um und nahm dann noch einmal Kühlschrank und Gefriertruhe unter die Lupe.
Dann ging ich den kleinen Flur, der zu zwei Schlafzimmern und einem Bad führte, entlang. Schließlich schnaubte ich triumphierend. Das Bad war das reinste Schlachtfeld. Zahnbürsten und diverse Körperpflegeuntensilien waren scheinbar zufällig in der Gegend verstreut. Ein paar leere Bierflaschen standen herum. Diverse halb benutzte Klopapierrollen rollten durch die Gegend, im Halter war noch eine leere Papprolle eingespannt.
Ich nahm das erste Schlafzimmer in Augenschein. Auch das war schon eher Thomas’ Stil. Hier thronte ein gewaltiges Bett ohne Kopf- oder Fußende, nur ein Metallgestell mit Matratze. Es war schneeweiß bezogen, darauf lagen mehrere Kissen in weißen Hüllen und eine dunkelblaue Bettdecke. Alles war wild zerwühlt. Die Tür zur Abstellkammer stand offen, und auch hier lag Wäsche auf dem Boden herum. Zwei Wäschekörbe mit fein säuberlich gefaltetem, gebügeltem Bettzeug standen auf einer Kommode mit halb herausgezogenen Schubladen. Ein Bücherregal quoll vor aller möglicher Unterhaltungsliteratur und einem Radiowecker über. Ein Paar Schwerter, eines ein alter US-Kavalleriesäbel, das andere sah eher aus wie eine Musketierwaffe, lehnten an einer Wand, wo es sich wer auch immer gerade in diesem Bett sein mochte ohne Probleme angeln konnte.
Ich ging zurück in den Flur und nickte in Richtung der restlichen Wohnung. „Das alles ist Tarnung“, erklärte ich Mouse. „Der vordere Teil der Wohnung. Er will damit einen gewissen Eindruck erwecken und stellt sicher, dass niemand je den Rest zu Gesicht bekommt.“
Mouse neigte den Kopf zur Seite und beobachtete mich aufmerksam.
„Vielleicht sollte ich ihm einfach eine Nachricht hierlassen.“
Das Telefon klingelte, und ich wäre vor Schreck fast aus der Haut gefahren. Sobald ich sicher war, dass ich nicht gerade einen Herzinfarkt erlitt, tappte ich zurück ins Wohnzimmer. Ich war mir noch unsicher, ob ich abnehmen sollte. Ich entschied mich dagegen. Höchstwahrscheinlich war es der Sicherheitsdienst des Gebäudes, der
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