Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
vollkommen recht, Harry. Wir können es uns im Moment nicht leisten, uns aufspalten zu lassen. Woran kannst du dich erinnern?“
Ich schüttelte den Kopf und blinzelte, als ich einen wahren Müllwagen wild herumfleuchender Erinnerungen durchwühlte. „Das letzte Mal, an das ich mich erinnern kann, dass ich ihn bei mir hatte, war während des Angriffes der Geißlein. Danach … nichts mehr. Ich weiß nicht, wo er im Augenblick ist und nein, ich kann mich nicht erinnern, wer das getan hat und warum.“
Michael runzelte die Stirn, doch er nickte. „Gut. Er gibt uns nicht immer, was wir wollen. Nur das, was wir brauchen.“
Ich massierte meine Stirn. „Das hoffe ich“, meinte ich kleinlaut. „So. Äh. Das ist jetzt ein wenig peinlich. Nach dem ganzen Schwert-an-der-Kehle Kram und so.“
Michael warf den Kopf in den Nacken und stieß ein warmes, kräftiges Lachen aus. „Du bist einfach nicht der Typ, der halbe Sachen macht, Harry. Große Gesten garantiert.“
„Ich schätze nicht“, sagte ich leise.
„Ich muss das fragen“, sagte Michael, der mich nach wie vor sorgfältig musterte. „Lasciels Schatten. Ist er wirklich verschwunden?“
Ich nickte.
„Wie?“
Ich wandte den Blick ab. „Ich will nicht darüber sprechen.“
Er runzelte die Stirn und nickte. „Kannst du mir sagen, weshalb nicht?“
„Weil das, was mit ihr geschehen ist, nicht fair war.“ Ich schüttelte den Kopf. „Weißt du, warum die Denarier so ungern in Kirchen gehen?“
Er zuckte die Achseln. „Ich denke mal, weil ihnen die Anwesenheit des Allmächtigen unangenehm ist. Das habe ich zumindest immer angenommen.“
„Nein“, sagte ich und schloss die Augen. „Weil es die Gefallenen fühlen lässt, Michael. Sich erinnern. Es macht sie unglücklich.“
Selbst mit geschlossenen Augen konnte ich seine Verwirrung buchstäblich fühlen.
„Stell dir mal vor, wie furchtbar das sein muss“, fuhr ich fort, „nach Jahrtausenden unerschütterlicher Gewissheit. Plötzlich kommen dir Zweifel. Plötzlich fragst du dich, ob alles, was du getan hast, eine einzige, riesige Lüge war. Ob du alles für nichts und wieder nichts geopfert hast.“ Ich lächelte verhalten. „Das kann nicht besonders gut fürs Selbstbewusstsein sein.“
„Nein“, pflichtete Michael gedankenvoll bei. „Das denke ich auch nicht.“
„Shiro sagte, ich würde wissen, wem ich das Schwert zu geben hätte“, sagte ich.
„Ja?“
„Ich habe es im Handel mit Nikodemus obendrauf gepackt. Die Münzen und das Schwert für Ivy.“
Michael atmete scharf ein.
„Sonst wäre er gegangen“, sagte ich. „Die Uhr wäre abgelaufen, und wir hätten ihn nie rechtzeitig finden können. Es war der einzige Weg. Fast, als hätte Shiro das gewusst. Schon damals.“
„Bei Gottes Blut, Harry“, sagte Michael. Er presste eine Hand auf den Bauch. „Ich bin sicher, dass Glücksspiel eine Sünde ist. Wenn nicht, sollte es zumindest so sein.“
„Ich werde das Mädchen zurückholen, Michael“, sagte ich. „Koste es, was es wolle.“
Er stand auf, und eine Denkfalte bildete sich steil auf seiner Stirn. Dann schnallte er sich Amoracchius um.
Ich hielt meine rechte Hand hoch. „Bist du dabei?“
Michaels Handfläche klatschte hart gegen meine, und dann zog er mich auf die Beine.
39. Kapitel
F ür einen Kriegsrat brachten wir die Angelegenheit kurz und bündig hinter uns. Das mussten wir auch.
Dann machte ich mich auf die Suche nach Murphy. Sie war in Charitys Nähkämmerchen gegangen, um nach Kincaid zu sehen.
Für einen Augenblick stand ich schweigend in der Tür. Viel Platz hätte es in dem Zimmerchen so oder so nicht gegeben. Es war über und über mit Plastikkisten vollgestellt, in denen sich Stoff und Handarbeitsmaterialien befanden. Auf einem Tisch stand eine Nähmaschine, daneben ein Stuhl, ein Bett und gerade genügend freier Fußboden, um noch ein Durchkommen zu ermöglichen. Ich hatte auch schon in diesem Zimmerchen gelegen. Es handelte sich um einen beruhigenden Ort, voller Weichheit und bunter Farben, der immer etwas nach Appretur und Weichspüler roch.
Kincaid sah aus wie das Stuntdouble der Mumie. Er hing an einer Infusion, und ein Blutbeutel lag auf einem kleinen Metallgestell direkt neben dem Bett – eine edle Spende aus Marcones illegaler kleiner Klinik, wie ich annahm.
Murphy saß mit besorgtem Gesichtsausdruck neben dem Bett. Diesen Ausdruck hatte ich auch schon gesehen, als ich dort in der Waagrechten gelegen hatte. Halb rechnete ich mit
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