Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
Aber vielleicht hast du recht – außer, um auf die ursprüngliche Metapher zurückzukommen, wenn Mab nicht mit einem vollständigen Deck spielt. Die Vorgänge der letzten Jahre deuten mit ansteigender Häufigkeit eben darauf hin.“ Ich nickte in Richtung Fenster. „Mich beschleicht so das Gefühl, dass ich noch viel größere Schwierigkeiten mit den Geißlein hätte, wenn wir nicht mitten in einem gottverdammten Schneesturm wären. Wenn ich jetzt nach Miami oder einen anderen warmen Ort verdufte, wäre ich viel näher am Machtbereich der Schergen des Sommers – die mich auch umlegen wollen.“
Thomas runzelte die Stirn und schwieg.
„Ich könnte davonlaufen, aber ich könnte mich nicht verstecken“, fuhr ich fort. „Besser, wenn ich mich dem Ganzen hier stelle, auf meinem eigenen Territorium, während ich noch relativ frisch bin ...“, – ich gähnte ordentlich –, „... statt darauf zu warten, dass die Schläger eines der Feenhöfe meinen Marktwert schmälern, nachdem ich einige Wochen auf der Flucht war.“
„Was ist mit dem Rat?“, verlangte Thomas zu wissen. „Wie lang trägst du nun schon den grauen Umhang und wie oft bist du für ihn in die Bresche gesprungen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Im Augenblick sind die Kräfte des Rates bereits bis zum Limit verteilt. Auch wenn wir im Moment keine offenen Auseinandersetzungen mit dem Roten Hof führen, brauchen der Rat und die Wächter sicher noch Jahre, um sich wieder zu erholen.“ Ich spürte, wie ich unbewusst die Zähne zusammenbiss. „In den letzten Jahren sind verdammt viele Hexer auf der Bildfläche erschienen. Die Wächter schieben jetzt schon Überstunden, um ihrer Herr zu werden.“
„Du meinst, indem sie sie ermorden“, warf Thomas ein.
„Ich meine, indem sie sie ermorden. Die meisten sind Teenager, Mann.“ Ich schüttelte den Kopf. „Luccio weiß genau, was ich davon halte. Also weigert sie sich, mir solche Aufträge aufzuzwingen. Was aber bedeutet, dass sich andere Wächter um die liegengebliebene Arbeit kümmern müssen. Ich werde ihnen jetzt nicht noch weitere Arbeit aufbürden, indem ich sie in dieses Schlamassel mit hineinziehe.“
„Aber es macht dir nichts aus, mir zusätzliche Arbeit aufzubürden“, merkte Thomas an.
Ich schnaubte. „Weil ich sie respektiere.“
„Damit wäre das schon mal geklärt“, sagte er.
Wir fuhren an einem städtischen Schneepflug vorbei. Er war in einer tiefen Schneeverwehung steckengeblieben wie ein metallenes Eiszeitwesen in einer Teergrube. Amüsiert sah ich mit an, wie Thomas’ Geländewagen ohne Mühe vorbeizog.
„Übrigens“, fragte er, „wo willst du eigentlich hin?“
„Eins nach dem anderen“, sagte ich. „Ich brauche etwas zu essen.“
„Du brauchst Schlaf.“
„Tick-tack. Essen wird im Augenblick reichen.“ Ich wies in eine Richtung. „Da ist ein IHOP.“
Er lenkte den gigantischen Jeep bedächtig in eine ausholende Kurve. „Was dann?“
„Dann stelle ich Leuten unpassende Fragen“, sagte ich, „die mir hoffentlich passende Antworten einbringen.“
„Einmal angenommen, dass dich währenddessen niemand tötet.“
„Genau deshalb habe ich ja auch meinen eigenen Vampirleibwächter dabei.“
Thomas nahm drei Parkplätze auf dem winzigen, sonst leeren Vorplatz des International House of Pancakes in Beschlag.
„Mir gefällt der Schal“, sagte ich. Ich beugte mich zu ihm hinüber und atmete, so gut es ging, durch die Nase ein. Es brannte zwar ein wenig, doch ich konnte das schwache Aroma von Vanille und Erdbeeren ausmachen. „Hat sie den für dich gehäkelt?“
Thomas nickte wortlos. Seine behandschuhten Finger strichen über die weiche, einfache Wolle. Er wirkte schwermütig. Es tat mir leid, das Thema auf Justine gelenkt zu haben, Thomas’ verlorene große Liebe. Dann verstand ich, warum er die Handschuhe trug: Wenn sie den Schal für ihn gemacht hatte, als Zeichen ihrer Liebe, würde er es nicht wagen, ihn mit seiner bloßen Haut zu berühren. Es würde ihn verbrennen wie eine glühende Herdplatte. Also trug er ihn so nahe es ging an sich, um ihren Wohlgeruch zu riechen, ohne ihn tatsächlich zu berühren.
Jedesmal, wenn ich dachte, mein Liebesleben sei ein wahres Ödland, sah ich meinen Bruder und bekam vor Augen geführt, dass es noch viel schlimmer kommen konnte.
Thomas schüttelte den Kopf und würgte den Motor ab. Dann saßen wir eine Weile schweigend da.
Dadurch konnte ich auch eine tiefe Männerstimme hören, die außerhalb des
Weitere Kostenlose Bücher