Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
schattigen Eingangstür des Chateaus stand Lara Raith.
„Da ihr ja offensichtlich leicht behindert seid, habe ich euch einen Klassiker zur Verfügung gestellt, der diesen Behinderungen Rechnung trägt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ziemlich herablassend, wie ich fand. „Baujahr 1939. Ich hätte ihn gern mit vollem Tank zurück.“
Ich nickte ihr unverbindlich zu, eine Geste, die kein echtes Versprechen war, und murmelte, als ich die Beifahrertür öffnete: „Da muss ich erst mal meinen Bankmenschen um einen anderen Kreditrahmen angehen. Was schluckt das Teil denn so? Vier Liter den Kilometer?“
Anastasia rutschte leise stöhnend auf den Beifahrersitz. Das Stöhnen tat mir in der Seele weh, spontan streckte ich die Hand aus, um ihr zu helfen, falls sie es nicht schaffen sollte, aber da saß sie auch schon. Ich schlug gerade die Tür zu, als ich bemerkte, dass Lara einen Schritt auf uns zu gemacht hatte.
Sie hielt den Blick unverwandt auf uns gerichtet, musterte erst Anastasia, dann mich.
Dann schien ihr ein Licht aufzugehen. Ihre Augen flackerten ein paar Schattierungen heller, die satten Lippen öffneten sich leicht, verzogen sich ganz langsam zu einem Lächeln.
Etwas zu hastig wandte ich mich von dem Anblick ab, stieg in den Rolls und fuhr an. In den Rückspiegel sah ich erst wieder, als das Haus der Vampire fünf Meilen hinter uns lag.
***
Anastasia schwieg fast den gesamten Rückweg über, ehe sie etwas von sich gab. „Harry?“
„Hm?“ Ich musste mich schwer konzentrieren, der Rolls fuhr sich wie ein Panzer. Jede Menge Schwung, aber keine Servolenkung oder Bremsverstärkung. Ein Fahrzeug, das mir die strikte Beachtung physikalischer Gesetze abverlangte und erwartete, dass ich vorausdachte – was eher weniger mein Ding war.
„Willst du mir etwas sagen?“, fragte sie.
„Verdammt!“, murmelte ich.
Sie sah mich an, die Augen so viel älter als das Gesicht darum herum. „Du hattest gehofft, ich hätte Justine nicht gehört.“
„Ja.“
„Habe ich aber.“
Ich fuhr ein oder zwei Minuten lang weiter, ehe ich fragte: „Bist du sicher, dass du sie richtig verstanden hast?“
Darüber dachte nun wiederum Anastasia einen Augenblick lang nach. „Bist du sicher, dass du mir nichts erzählen magst?“, fragte sie dann sanfter als zuvor.
„Oberbefehlshaberin Luccio habe ich nichts zu sagen“, sagte ich. Das klang härter, als ich gewollt hatte.
Sie streckte die linke Hand aus und legte sie auf meine Rechte, die auf dem Schaltknüppel ruhte. „Was ist mit Anastasia?“
Ich spürte, wie ich die Zähne zusammenbiss. Mein Kiefer verspannte sich so, dass er eine Weile brauchte, bis er wieder beweglich war. „Hast du Familie?“, erkundigte ich mich.
„Ja“, erwiderte sie erstaunt. „Rein theoretisch gesehen schon.“
„Theoretisch?“
„Wenn du die Männer und Frauen meinst, mit denen ich aufgewachsen bin, die ich kannte – die sind schon seit Generationen tot. Ihre Nachkommenschaft lebt auf verschiedene Länder verteilt, in Italien, Griechenland, ein paar auch in Algerien. Aber es ist ja nun nicht so, als würden sie ihre Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßtante zu Weihnachten einladen. Das sind Fremde.“
Das versuchte ich mir vorzustellen. Stirnrunzelnd sah ich sie an. „Fremde.“
Sie nickte. „Unsere Lebenserwartung. Die meisten Leute sind nicht bereit, eine so radikal von ihrem Leben abweichende Tatsache zu akzeptieren. Es gibt ein paar Familien, bei denen es anders ist, Martha Liberty lebt zum Beispiel mit einer ihrer Ur-Ur-und-so-weiter-Enkelinnen und deren Familie zusammen – wie viele Urs vor die Enkelin gehören, weiß ich nicht genau. Aber meist geht es schlimm aus, wenn Magier versuchen, engen Kontakt zu ihrer Familie zu halten.“ Sie senkte den Kopf und musterte angelegentlich ihre schwarze Schlinge. „Ich sehe alle fünf, sechs Jahre mal nach meiner, ohne dass sie es mitkriegt. Halte Ausschau danach, ob eins der Kinder Talent entwickelt.“
„Aber einmal hattest du doch eine richtige Familie“, sagte ich.
Sie blickte seufzend aus dem Fenster. „Oh ja. Aber das ist schon ziemlich lange her.“
„Ich erinnere mich noch schwach an meinen Vater. Aber eigentlich bin ich als Waisenkind aufgewachsen.“
Anastasia zuckte zusammen. „Dio, Harry! Du hattest niemanden?“
„Wenn ich jemanden fände ...“ Ich spürte, wie mir die Kehle eng wurde. „Dann würde ich alles tun, um ihn zu beschützen.“
Anastasia wandte ruckartig den Kopf zum Fenster und
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