Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
sehen, welche Mühe es ihr bereitete, den Schein zu wahren. „Tabletten wären wunderbar.“
„Harry?“, erklang hinter mir eine leise Stimme.
Ich drehte mich um: Justine sah mich mit schläfrigem Blick an. Ich trat neben ihr Bett, beugte mich zu ihr hinunter und lächelte ihr zu. „Hallo!“
„Wir haben mitgekriegt, was das Monster gesagt hat.“ Justines Worte kamen leise und ohne harte Konsonanten, jedes Wort klang verwischt, die Ecken abgeschliffen. „Wir haben gehört, wie es mit Lara und dir geredet hat.“
Ich warf einen raschen Blick zu Anastasia hinüber. Die nickte.
Wenn Justine jetzt nur nichts von sich gab, was nicht gesagt werden durfte! „Ja“, raunte ich leise. „Wir kümmern uns darum.“
Justine strahlte mich an, konnte aber kaum die Augen offen halten. „Ich weiß. Er liebt dich, musst du wissen.“
Jetzt sah ich Anastasia ganz bewusst nichtan. „Hm. Ja.“
Justine nahm meine Hand in eine der ihren, und ihr Blick suchte meinen. „Wie oft hat er sich Gedanken darüber gemacht, dass er vielleicht nie wird mit dir sprechen können. Dass eure Welten zu grundverschieden sind. Dass er nie wirklich begreifen kann, was Menschsein bedeutet, und dass ihr deswegen nie eine richtige Beziehung aufbauen könnt. Dass er nicht wissen könnte, wie es ist, einen Br...“
„Brillanten Nagel zu meinem Sarg abzugeben!“, unterbrach ich sie. „Da muss er sich keine Sorgen machen, das hat er ziemlich gut drauf.“ Ich wich Justines Blick aus, noch einen Seelenblick hätte ich nicht ertragen. „Du musst dich ausruhen. Ich finde ihn schon, mach dir keine Sorgen.“
Immer noch lächelnd schloss sie die Augen – besser gesagt: Die Augen fielen ihr zu. „Du bist wie ein Bruder für mich. Du kümmerst dich immer. Dir liegt etwas an uns.“
Ich senkte peinlich berührt den Kopf, ließ Justines Hand los und zog die dünne Krankenhausdecke um sie fest.
Anastasia beobachtete mich mit nachdenklichem Blick.
***
Wir machten uns auf den Weg zur Haustür, vorbei an dem frischen Feinputz, hinter dem sich möglicherweise absurd tödliche Waffen verbergen mochten, über die Veranda, die es größenmäßig locker mit einem Tennisplatz aufnehmen konnte, und ein paar Stufen hinunter bis zur runden Auffahrt, wo der Wagen den Lara uns leihen wollte, schon auf uns wartete.
Bei dessen Anblick blieb ich so plötzlich stehen, dass Anastasia um ein Haar in mich reingelaufen wäre. Sie stieß einen gedämpften Schmerzenslaut aus und rang um ihr Gleichgewicht. Als sie endlich aufsah, schnappte sie laut und vernehmlich nach Luft. „Ach du liebe Güte!“
Vor uns in der Auffahrt warteten mit schnurrendem Motor beinahe zwei Tonnen edelsten britischen Stahls. Ein weißer Rolls, einer von den älteren Modellen, ein Auto, das direkt aus einem Pulp-Abenteuerfilm hätte stammen können. Der Rolls befand sich in erstklassigem Zustand: frisch gewaschen und poliert, die Armaturen blitzend, nirgends auch nur die Andeutung eines Fingerabdrucks. In der Abenddämmerung über dem Chateau glänzte der Kühler aus Chrom wie gebranntes Siena.
Immer noch mit halboffenem Mund ging ich darauf zu, um mir das Wageninnere anzusehen, das mir größer vorkam als meine ganze gottverdammte Wohnung. Alles silbergraues und weißes Leder und helles Holz, poliert, bis es satt glänzte, mit silbernen Verzierungen abgesetzt. Der Teppich auf dem Boden zwischen den Sitzen wirkte weicher und luxuriöser als ein gut gepflegter Rasen.
„Wow!“ Ich stieß einen Pfiff aus.
„Das reine Kunstwerk“, hauchte Anastasia neben mir.
„Wow!“, sagte ich leise.
„Sieh dir die Filigranarbeit an!“
Ich nickte. „Wow.“
Anastasia warf mir einen anzüglichen Seitenblick zu. „Hinten ist allerhand Platz.“
Ich erwachte aus meiner Trance und starrte sie verständnislos an.
Ihr Gesicht war die reine Unschuld. „Ich sage ja nur: In deiner Wohnung ist es momentan ziemlich eng und ...“
„Anastasia!“ Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden.
Erneut kamen ihre Grübchen zum Einsatz – natürlich wollte mich die Frau nur aufziehen! In ihrem Zustand war an solcheAktivitäten noch ein ganzes Weilchen nicht zu denken.
„Welches Modell haben wir denn da?“, wollte sie wissen.
„Ähm“, sagte ich. „Es ist ein Rolls-Royce, einer aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, glaube ich.“
„Es ist natürlich ein Rolls-Royce Silver Wraith“, kam es von hinter uns. „Was sonst? In diesem Haus?“
Ich warf einen Blick über meine Schulter: In der
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