Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
Sekunde, bis ich es identifiziert hatte.
Regen.
Regentropfen trommelten auf das Bootsdeck und das Dach der Kajüte.
So, wie ich war, kroch ich an Deck. Um meinen ledernen Staubmantel brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, den hatte ich einem grausam präzisen, detailreichen Ritual unterzogen, und seitdem war er, was physische Angriffe betraf, mit einer Stahlplatte vergleichbar. Als angenehmen Nebeneffekt hatte die Prozedur den Stoff auch noch wasserdicht und fleckabweisend werden lassen, trotzdem war und blieb er atmungsaktiv. Das müssen mir die bei Berman oder Wilson erst mal nachmachen.
Hochentwickelte Bekleidungstechnologie – pah.
Ich kletterte hoch auf die Brücke. Der Himmel hatte sich mit einer grauen Wolkenschicht überzogen, der Regen sah aus, als handele es sich hier um die lang andauernde, bis auf die Knochen dringende Variante, die man in Chicago im Sommer selten erlebte. Meine Stadt hielt es da eher mit den heftigen, kurzen, burschikosen Gewittern. Noch hatte die Hitze nicht merklich nachgelassen, die Luft war dick und schwer – man hätte glatt darin schwimmen können.
Molly überließ mir das Ruder, und ich verschaffte mir lauthals gähnend anhand von Kompass und Insellage einen Begriff von unserer genauen Position. „Das ist ja nun weniger schön“, stöhnte ich missmutig.
„Der Regen?“ Molly reichte mir mein Pentagramm.
Ich hängte mir die Kette um den Hals. „Eigentlich wollte ich bis kurz vor dem Dunkelwerden vor der Insel ankern.“
„Warum?“
„Weil ich den Ältestenrat herausgefordert habe, sich dort bei Sonnenuntergang mit mir zu prügeln.“
Molly verschluckte sich an ihrem Kaugummi.
Das übersah ich bewusst. „Ich wollte es den Typen nicht zu leicht machen, sie sollen sich nicht einfach von hinten an mich ranschleichen können. Ach ja: Ich habe mit Ekelmonster abgesprochen, dass er Thomas gegen Morgan austauschen kann. Der kriegt allerdings erst später gesagt, wo er hinkommen soll. Das Aas ist gerissen und hält sich bestimmt nicht an Absprachen. Ich habe keine Lust, dass er hier früher auftaucht, als ich ihn gebrauchen kann.“
Mein Humor rauschte glatt an Molly vorbei, wahrscheinlich lebte sie inzwischen zu lange mit meinen doofen Sprüchen, um die noch witzig zu finden. „Du tauschst Morgan gegen Thomas aus?“
„Nee. Ich will nur, dass Ekelmonster Thomas herbringt, und zwar unversehrt. Der Weiße Hof soll ihn sich vorknöpfen und fertig machen.“
Molly war erschüttert. „Der Weiße Hof kommt auch?“
Ich strahlte zufrieden. „Jawohl. Die haben auch Aktien in der Affäre.“
„Aha!“ Molly nickte. „Glaubst du, der Ältestenrat geht auf deine Herausforderung ein? Warum?“
„Weil ich ihm gesagt habe, ich würde ihm einen Informanten präsentieren, und der könnte bezeugen, wer LaFortier wirklich umgebracht hat. Nicht nur bezeugen, sondern seine Aussage auch mit Beweisen untermauern.“
„Gibt es den denn?“, fragte Molly.
„Nein!“ Ich schüttelte freudestrahlend den Kopf.
Sie schaute mich einen Moment lang völlig verdutzt an, ich konnte förmlich zuschauen, wie sich die Rädchen in ihrem Hirn drehten. „Aber der Mörder weiß das nicht!“
Mein Lächeln wurde möglicherweise noch breiter. „Nein, Miss Carpenter, der Mörder weiß das nicht. Ich habe dafür gesorgt, dass sich meine Aufforderung an den Ältestenrat im Hauptquartier herumspricht. Er hat keine andere Wahl, als hier aufzutauchen, wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass ich die Wahrheit gesagt habe und es wirklich einen Informanten gibt, der bereit ist, seine Tarnung auffliegen zu lassen. Die Existenz eines solchen Informanten würde, nebenbei gesagt, auch greifbare Beweise für die Existenz eines Schwarzen Rates liefern.“
Molly zog besorgt die goldenen Brauen zusammen. „Was, wenn sie glauben, dass du bluffst? Wenn niemand an die Existenz deines Informanten glauben mag?“
Ich schnaubte. „Kindchen, wir reden hier von Leuten, die verstümmeln, töten, intrigieren und auch mal wen verraten. Das tun sie, weil sie die Macht lieben. Wenn man Leute zusammenbringt, die die Macht lieben, dann kommen die mit Geschenken, und hinter dem Rücken halten sie alle einen Dolch in der Hand. Wer seinen Rücken entblößt, kriegt einen Dolch rein, so ist das. Das sehen die anderen als Aufforderung zuzustechen. Solche Leute können sich lebhaft vorstellen, dass es in ihren Reihen einen Überläufer gibt, der es sich jetzt anders überlegt hat und aus der Sache wieder
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