Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
und erkundigte mich, ohne in die Details zu gehen, nach etwaigen Ungereimtheiten. Hatte jemand mitbekommen, dass etwas am Laufen war? Allzu genau durfte ich natürlich nicht werden, aber das war Gott sei Dank auch nicht nötig. Schon nach zwölf Anrufen schälte sich ein Bild heraus: In vier Städten gab es verstärkte Wächteraktivitäten, wobei die Wächter jeweils paarweise aufgetaucht waren. In den nächsten dreißig Städten, in denen ich anrief, berichteten nur zwei meiner Kontaktleute von ähnlichen Aktivitäten, aber dennoch war klar, was los war: eine verdeckte, aber hektische Großfahndung.
Eins allerdings blieb mir schleierhaft: Warum waren die Wächter, wenn sie denn nach Morgan suchten, ausgerechnet in Poughkeepsie unterwegs? Warum in Omaha?
Ein fruchtloses Unterfangen, diese ganze Fahndung? Was immer Morgan unternommen hatte, um die Wächter von seiner Spur abzulenken, es funktionierte fabelhaft. Meine Kollegen hetzten in einer wilden Jagd kreuz und quer und kopflos durch die Gegend.
Etwas Positives hatte meine Fragerei auf jeden Fall ergeben: Ich wusste nun offiziell von Gerüchten, denen zufolge verstärkt Wächter im Lande unterwegs waren und durfte von daher, ohne Verdacht zu erregen, gezielt Fragen stellen.
So meldete ich mich also als Nächstes bei den Wächtern, mit denen ich gut klarkam. Drei von ihnen arbeiteten genau genommen sogar in verschiedenen Städten im Osten und mittleren Westen der USA für mich. Wobei ich kein besonders guter Boss war. Ich überließ die Entscheidungen in Bezug auf die konkrete Arbeit meinen Leuten meist selbst und versuchte lediglich dann, ihnen zu helfen, wenn sie darum baten. Zwei von ihnen waren nicht da, und ich musste eine Nachricht hinterlassen, aber Bill Meyers in Dallas ging gleich nach dem zweiten Klingeln ans Telefon.
„Howdy!“
Im Ernst: So meldete sich der Typ am Telefon!
„Bill? Hier ist Dresden.“
„Harry“, sagte er höflich. Bill verhielt sich bei aller texanischen Zwanglosigkeit mir gegenüber immer äußerst höflich, er hatte einmal mitbekommen, wie ich etwas ziemlich Furchteinflößendes tat. „Wenn man vom Teufel spricht.“
„Ach ja? Hat es dir meinetwegen in den Ohren geklingelt?“
„Wahrscheinlich“, sagte Bill langgezogen. „Ich wollte dich morgen früh anrufen.“
„Ja? Was liegt denn an?“
„Gerüchte“, sagte Bill. „Ich habe zwei Wächter aus unserem Zugang zu den Wegen kommen sehen, und als ich sie fragte, was los ist, haben sie dichtgemacht. Total gemauert. Ich dachte, du weißt bestimmt, was Sache ist.“
„Mist!“, seufzte ich. „Ich rufe ich an, damit dumir sagst, was Sache ist.“
Er schnaubte. „Wir sind schon ein feiner Haufen Weiser, was?“
„Wenn es nach dem Rat geht, dann sind die Wächter in den USA nichts als Pilze.“
„Bitte?“
„Was wächst im Dunkeln und wird mit Mist gefüttert?“
Meyers lachte. „Den Spruch merke ich mir. Was soll ich deiner Meinung nach unternehmen?“
„Bleib am Ball und spitz die Ohren“, sagte ich. „Früher oder später sagt uns Luccio, was gespielt wird. Ich rufe dich an, sobald ich etwas erfahre, und du rufst mich an.“
„Alles klar“, sagte er.
Wir verabschiedeten uns voneinander. Danach musterte ich einen Moment lang stirnrunzelnd das Telefon.
Der Rat hatte mich nicht über die Suche nach Morgan informiert, hatte überhaupt nicht mit mir über ihn gesprochen. Die Wächter, die unter meinem Befehl standen, wussten ebenfalls nichts von der laufenden Fahndung.
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah hoch zu Mister in seinem Bücherregal. „Scheint fast so, als wollten sie mich vorsätzlich im Unklaren lassen. Als bestünde der Verdacht, ich würde da irgendwie mit drin hängen.“
Was ja irgendwie auch logisch war: Der Merlin hatte bestimmt nicht vor, mich in nächster Zeit zu seinem Weihnachtsessen zu bitten, er traute mir nicht. Vielleicht hatte er Befehl gegeben, mich außen vor zu lassen. Gewundert hätte es mich nicht.
Aber wenn ich wirklich aus dieser Sache ausgeschlossen werden sollte, dann ging das nur, wenn auch die Oberbefehlshaberin der Wächter mitspielte, und Anastasia Luccio und ich waren jetzt schon seit einer ganzen Weile zusammen. Sicher, sie war ein paar Jahrhunderte älter als ich, aber sie steckte seit einem Zusammenstoß mit einem Psychopathen, der einen Körpertausch vorgenommen hatte, im Leib einer jungen Studentin fest und sah keinen Tag älter als fünfundzwanzig aus. Wir verstanden uns gut, wir brachten
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