Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
bekannt, ich lebte schon lange in dieser Gegend und hätte eigentlich darauf vertrauen können, dass mir alles aus dem Rahmen fallende schnell ins Auge stach. Aber ich mochte mich nicht darauf verlassen, denn in diesem Spiel gab es einfach zu viele Akteure mit zu vielen Möglichkeiten, ich musste auf Nummer sicher gehen.
Dem ersten und auch dem zweiten Anschein nach lauerte niemand darauf, mich oder Morgan ins Jenseits zu befördern. Was noch lange nicht hieß, dass sie nicht da waren.
„Achtung, Harry, Paranoia!“, murmelte ich finster, warf dann aber doch noch einen wirklich letzten Blick in die Runde.
Endlich wagte ich es, wenn auch leicht zitternd, die Treppe zu meiner Wohnung hinabzusteigen. Ich deaktivierte die Schutzzeichen und nahm mir wieder einmal vor, demnächst etwas gegen die Dellen in der Sicherheitstür aus Stahl zu tun, sonst kam mir die alte Mrs. Spunklecrief womöglich noch mit der Frage, ob das Einschusslöcher wären. Mrs. Spunklecrief war meine nahezu taube Vermieterin, und verstärktes Interesse ihrerseits an meiner Tür war so ungefähr das Letzte, was ich momentan gebrauchen konnte. Klar hätte ich der alten Dame die Wahrheit sagen können: dass es sich bei den Dellen in der Tat um Einschusslöcher handelte, da man ein gutes Dutzend Mal auf meine Tür geschossen hatte. Aber derartige Unterhaltungen mit der Hausbesitzerin vermied man lieber, wenn man seine Wohnung behalten wollte.
Ich öffnete also die von Kugeln verunstaltete Tür, trat in die Wohnung, wandte mich dem Schlafzimmer zu und fand mich mit einem höchst bizarren Tableau konfrontiert.
Morgan war aus dem Bett geklettert und saß davor, den Rücken an das Seitenbrett gelehnt, die Beine ausgestreckt vor sich. Er sah grauenvoll aus, aber in seinen Augen, die er eng zusammengekniffen hatte, glitzerte lebhaftes Misstrauen.
Im Türrahmen lag, alle Viere von sich gestreckt, mein Lehrling Molly Carpenter.
Molly war eine stattliche junge Frau mit jeder Menge perfekt angeordneter Rundungen und schulterlangem Haar, das sie diesen Monat in verschiedenen, leuchtenden, Grün- und Blautönen trug. Gekleidet war sie in abgeschnittene Jeans und ein weißes Tank Top, und ihre blauen Augen funkelten ziemlich erbost.
Sie verharrte mehr oder weniger reglos lang ausgestreckt auf dem Boden, weil mein Hund Mouse mehr oder weniger in voller Länge auf ihr lag. Ohne sein ganzes Gewicht auf ihr ruhen zu lassen, wohlbemerkt, denn damit hätte er sie wohl erdrückt, aber es war nicht zu übersehen, dass sie sich kaum bewegen konnte.
„Harry!”, begrüßte sie mich und hätte sicher gern auch noch mehr gesagt, aber Mouse ließ sich ein bisschen tiefer fallen, und plötzlich konnte sie nur noch nach Luft schnappen.
„Dresden!“, knurrte Morgan in etwa synchron. Er verlagerte das Gewicht, machte Anstalten aufzustehen.
Mouse wandte ihm den Kopf zu und bedachte ihn mit einem ruhigen Blick. Lediglich die Fangzähne blitzten ein klein wenig auf.
Morgan ließ das mit dem Aufstehen lieber sein.
„Na, dann Prost“, seufzte ich. Ich drückte die Tür zu, woraufhin es ziemlich dunkel wurde, verriegelte die Tür, richtete die Schutzzeichen ein, wedelte mit der Hand und schickte mit einem raschen „Flickum Bicus“ein bisschen gebündelten Willen ins Zimmer. Ein halbes Dutzend Kerzen erwachte flackernd zum Leben.
Mouse wandte den Kopf in meine Richtung und warf mir einen Blick zu, den man nur als vorwurfsvoll bezeichnen konnte. Er stand auf, latschte in den kleinen Alkoven, der mir als Küche diente, und streckte sich mit einem heftigen Gähnen in meine Richtung zum Schlafen aus. Keine Frage: Mouse fand, das Ganze wäre jetzt mein Problem.
„Äh“, sagte ich und ließ meinen Blick vom Hund über meinen Lehrling zu Morgan wandern. „Wer sagt mir, was hier los war?“
„Die Hexerin wollte sich an mich anschleichen, während ich schlief!“, spuckte Morgan.
Molly sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. „Das ist doch kompletter Unsinn!“, knurrte sie.
„Dann erklären Sie, was Sie hier so spät nachts tun“, sagte Morgan. „Warum sind Sie ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht?“
„Ich braue einen Trank zur Stärkung der Konzentration!“ Mollys Tonfall ließ darauf schließen, dass sie diese Erklärung nicht zum ersten Mal abgab. „Der Jasmin muss nachts rein. Sag ihm das, Harry!“
Mist! In dem ganzen Trubel hatte ich glatt vergessen, dass der Grashüpfer heute bei mir eine Nachtschicht einlegen sollte. „Eigentlich wollte ich wissen,
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