Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
setzte. Erlitt Molly einen Rückfall, so trug ich dafür die Verantwortung, und das Todesurteil, das der Rat dann über sie verhängte, würde zwanzig Sekunden später auch für mich gelten.
Bisher hatte ich nie groß darüber nachgedacht, dass es sich umgekehrt ja genauso verhielt.
Nehmen wir mal einen Moment lang an, Morgan hätte es tatsächlich darauf angelegt, erwischt zu werden und wollte mich mit in den Tod reißen. Damit stürzte dann unweigerlich auch Molly, wobei mein alter Gegner mit einem Schlag zwei Magier loswurde, die beim Rat unter dem Verdacht standen, Hexer zu sein. Zwei Fliegen, eine Klappe.
Ganz schöner Mist, was?
„Gut“, sagte ich seufzend. „Anscheinend sitzt du auch mit im Boot.“
„Ach, ja?“ Molly riss die Augen auf. „In welchem denn?“
Also klärte ich sie auf.
12. Kapitel
M ir gefällt das nicht!“ , knurrte Morgan, als ich seinen Rollstuhl über den Kies auf den Van zusteuerte, den Thomas gemietet hatte.
„Ich bin erschüttert“, antwortete ich bissig. Morgan herumzuschieben war selbst mit Hilfe eines Rollstuhls kein Vergnügen. „Sie missbilligen meine Vorgehensweise?“
„Der da ist ein Vampir!“, sagte Morgan. „Dem kann man nicht vertrauen.“
„Ich höre alles“, warf Thomas vom Fahrersitz des Vanses aus ein.
„Das ist mir schon klar, Vampir“, antwortete Morgan, ohne lauter zu werden, wobei er mir wieder einmal einen seiner angewiderten Blicke zuwarf.
„Er schuldet mir noch einen Gefallen“, erklärte ich. „Seit diesem Putschversuch am Weißen Hof.“
Morgan funkelte mich erbost an. „Das ist doch eine glatte Lüge.“
„Was wissen Sie denn schon? Was Sie betrifft, sage ich nichts als die reine Wahrheit.“
„Von wegen! Sie lügen mich an.“
„Wenn Ihnen dann wohler ist: jawohl, tue ich.“
Morgans Blick flatterte unruhig zwischen dem Bus und mir hin und her. „Sie vertrauen ihm?“
„Bis zu einem gewissen Punkt, ja.“
„Idiot!“, sagte er, was sich allerdings so anhörte, als sei er mit dem Herzen nicht ganz dabei. „Einem Vampir des Weißen Hofes kann man nie trauen, selbst wenn er es ganz ernst meinen sollte. Früher oder später übernimmt sein Dämon die Kontrolle, und dann ist unsereins nichts als Futter. So sind die nun mal.“
In mir stieg ein mittlerer Wutanfall hoch, dem ich einen entschiedenen Dämpfer verpasste, ehe meine Lippen sich öffnen könnten. „Vergessen Sie bitte nicht, dass Sie zu mir gekommen sind, nicht umgekehrt. Wenn Ihnen meine Hilfsmaßnahmen nicht passen, dürfen Sie gern wieder aus meinem Leben rausrollen. Tun Sie sich bloß keinen Zwang an.“
Morgan warf mir einen vernichtenden Blick zu, verschränkte die Arme vor der Brust und hielt Gott sei Dank endlich die Klappe.
Thomas schaltete den Warnblinker an, während der Van mit laufendem Motor auf der Straße stand; dann stieg er aus, schob die Seitentür auf und lud den Rollstuhl samt verwundetem Wächter ein, wobei er ungefähr soviel Mühe aufwenden musste wie ich, wenn ich meine Einkaufstüten aus dem Supermarkt auf dem Rücksitz des Käfers verstauen will. Mein Bruder stellte den Rollstuhl vorsichtig ab, während Morgan den Beutel mit der Infusionsflüssigkeit festhielt, der mit einem kleinen Metallstab an der Armlehne des Stuhls befestigt war.
In diesem Moment musste ich den Mann, obwohl es mir schwer fiel, doch auch bewundern. Er war schon zäh. Es war nicht zu übersehen, dass er große Schmerzen hatte, es war nicht zu übersehen, dass er zu Tode erschöpft war, es war nicht zu übersehen, dass er mühsam die letzten Reste seines schwer angeschlagenen Stolzes zusammenkratzen musste, um überhaupt noch halbwegs zu funktionieren, und doch blieb er im Kern der, der er immer gewesen war, paranoid und nervig. Wahrscheinlich hätte ich ihn noch mehr bewundert, hätte nicht ausgerechnet ich mich mit diesen Wesenszügen rumschlagen müssen.
Thomas ließ die Tür hinter Morgan zugleiten, schnitt mir mit verdrehten Augen eine Grimasse und kletterte wieder auf den Fahrersitz.
Inzwischen war auch Molly abfahrbereit und kam mit zwei Rucksäcken sowie mit Mouse an der Leine aus dem Haus gestürzt. Als ich die Hand ausstreckte, warf sie mir den dunklen Nylonrucksack zu, in dem ich meine Notfallausrüstung aufbewahrte. Dazu gehörten unter anderem etwas zu essen, Wasser, eine Rettungsdecke, Leuchtstäbe, Klebeband, zweimal Kleidung zum Wechseln, ein Multifunktionswerkzeug, zweihundert Dollar in bar, mein Pass und ein paar meiner
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