Harte Schule
widersprach.
»Was autorisiert Sie zu dieser Frage?«, fragte ich im Ton unvoreingenommener Wissbegierde.
Er hatte einen bulligen Schädel, eine blasse Stirn, einen spöttischen Mund und die dichten Haare des mit vierzig Ergrauten.
»Zeller ist mein Name. Ich bin der stellvertretende Schulleiter. Den Unter- und Mittelstufenschülern ist es verboten, das Schulgelände während der Kernunterrichtszeiten zu verlassen.«
»Angenehm, Nerz.«
Er ließ die Augen über meine hochzeitsweiße Brontë gleiten. »Was wollten Sie von der Schülerin?«
»Ich fürchte, Ihre Kompetenzen enden am Schulhoftor.«
Er lächelte hinterfotzig. »Sie sind sich offensichtlich nicht darüber im Klaren, in welche Lage Sie die Schülerin gebracht haben. Sie muss sich für die Verletzung der Schulordnung verantworten.«
Da war es wieder, das vertraute Gefühl, von einem Lehrer vor zwei gleichermaßen fatale Alternativen gestellt zu werden, nämlich die Sache durch verstocktes Schweigen zu verschlimmern oder die Schülerin zu verpetzen.
»Müssen Sie nicht in den Unterricht?«, fragte ich streng.
»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig.«
»Dann haben wir schon eine Sache gemeinsam. Wür de es was nützen, wenn ich versichere, dass ich kein Dealer oder Zuhälter bin? Ich bin mit der Familie der Schülerin bekannt. Ich bitte Sie, von einer Bestrafung abzusehen. Ich übernehme natürlich die volle Verantwortung.«
Zeller zutzelte an einem Grinsen. »Was bitte ist an der Verantwortung, die Sie so eilfertig übernehmen, natürlich?«
»Oh, ich dachte, wenn man Ihren Rektor so reden hört, am PHG schätzt man die Ausdrücke natürlich und wie gesagt .«
Zeller lachte laut heraus.
»Im Übrigen«, fuhr ich fort, »bin ich beeindruckt, wie ernst man an Ihrer Schule die Sorgfaltspflicht nimmt. Ich fürchte nur, nachmittags entziehen sich die Kinder ohnehin Ihrer Kontrolle. Die Jugend will ihre Erfahrungen selber machen. Wir wissen zwar immer schon, dass es böse ausgeht, aber Lebenserfahrung kann man nicht leh ren.«
»Andererseits machen die Jugendlichen heute ganz andere Erfahrungen als wir, nicht nur, was Drogen anbelangt. Der erste Geschlechtsverkehr kann tödlich enden. Zum Geldausgeben gibt es keine Alternative. Miteinan der reden ist uncool. Man schlägt gleich zu. Und die Horror-DVDs, die sie sich am Wochenende reinziehen, würden mir schlaflose Nächte bereiten.« Er zog die Schultern hoch und stopfte die Fäuste in die Taschen der Allwetterjacke.
»Glauben Sie, dass einer der Schüler Marquardt getötet hat?«
»Die haben doch nur über ihn gelacht. Er war so affig stolz auf sein Vertrauensverhältnis zu den Schülern. Eine Zeit lang lief er mit einer Schuhschachtel herum und behauptete, zum Unterrichtsbeginn legten die Schüler ihre Waffen darin ab, bis einer mal einen Hundehaufen rein tat.«
»Dann war er gar nicht so beliebt bei den Schülern?«
»Ach Gott, man weiß nie, was Schüler wirklich denken. Aber eines ist sicher: Sie merken es sofort, wenn einer darauf aus ist, ihr Freund zu sein. Dann tischen sie Ihnen eine haarsträubende Geschichte auf, die darauf hinausläuft, dass Sie ihnen Geld geben, das sie dann für ein Paar Jeans raushauen.«
»Hm.«
»Ich würde sagen, Marquardt hat ein nicht ungefährliches Spiel gespielt. Es ist doch so: Wenn Sie sich mit den Kids auch noch in Ihrer Freizeit gemein machen, dann sind Sie irgendwann einer von ihnen, und dann kriegen Sie es auch ab, wenn es hart auf hart kommt. Natürlich versucht man, mit den Schülern auszukommen. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, sie suchten im Lehrer einen Freund. Wir stellen die Staatsmacht dar, das Gesetz, nämlich das, was den Kids klar macht, dass es Regeln gibt. Das ist der Generationenvertrag. Sie hassen uns, aber am Ende haben sie begriffen, dass man ohne Abitur nicht an das große Geld rankommt, an das sie alle ranwollen. Wenn Sie als Lehrer die Autorität nicht aushalten, die Sie darstellen müssen, dann haben Sie Ihren Beruf verfehlt. Und wenn Sie sich dann auch noch vor dem Kollegium als großer Indianerfreund aufspielen, dann endet das damit, dass Sie den Schülern Geld geben, nur damit sie in die Theater-AG kommen.«
»Tatsächlich?«
»Als ich der 8 b Nachhilfe in Mathe anbot, da sagte mir einer knallhart, er komme nur, wenn er fünf Euro pro Nachmittag kriegt. Schließlich sei ich der Pädagoge, und es liege in meinem Interesse, dass er die Schule schafft.«
Ich war ausnahmsweise sprachlos. Zeller nickte mit grimmiger
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