Harte Schule
Befriedigung. »Tja, die sind uns heutzutage nicht mehr so ausgeliefert wie früher. Marquardt hatte moderne Ideen, aber im Herzen war er von der alten Sorte. Er glaubte, die Schüler brauchten ihn als Verbündeten gegen die böse Welt. Natürlich haben sie ihn nur ausgenutzt.« Bei dem Wort natürlich zuckten seine Mundwinkel.
»Wie eigentlich?«, erkundigte ich mich.
Zeller sah mich erschrocken an. Plötzlich kam ihm zu Bewusstsein, dass er, als er mich wegen des Verdachts der Verführung Minderjähriger zur Rede stellte, nicht vorgehabt hatte, mir seine und die Seelenlage der Schüler zu erklären.
»Wie gesagt …« Er unterbrach sich ärgerlich. »Ich meine, nichts für ungut. Schönen Tag noch. Und lassen Sie die Schülerinnen in Ruhe.«
5
Ich fuhr die Oderstraße hinab bis zur Austraße. Dort ergab sich ein Postamt. Die Sozialstruktur war nicht danach, dass die Hausfrauen Zweitwagen hatten, deshalb genoss man den Luxus freier Parkplätze. Das Postamt war im Erdgeschoss eines Wohnhauses untergebracht. Vier Leute und einer mit langwierigen Bankgeschäften reichten, dass es zum Stau an beiden Schaltern kam. Aber ich suchte nur ein Telefonbuch.
Der Titel ›Druckereien‹ umfasste im Branchenverzeichnis immerhin vier Seiten. Ich begab mich in eine abartig dunkle Telefonzelle und begann mit eigenem Handy bei Beratungsgesellschaft der Druckindustrie Baden-Württemberg GmbH auf den Ostfildern. Wenn man zweihundert Nummern durchzutelefonieren hat, dann darf man nicht gleich bei der ersten überlegen, ob es Sinn hat. »Ist bei Ihnen ein Heiner Berg beschäftigt, vermutlich als Lehrling? Nein? Vielen Dank.« Der nächste. »Wir setzen accente beim Drucken. Rufen Sie einfach an.« Bei Digiprint gierte ich nach einer Zigarette und erinnerte mich Isoldes. Wozu gibt es Volontäre? Ich tipp te die Telefonnummer der Redaktion.
»Stuttgarter Anzeiger, Ringolf, guten Tag …«
»Ja, also, höret Se, was Sie da g’schriebe hend, des isch oin Scheiß, uff gut Deutsch g’sacht …«
»Auf welchen Artikel beziehen Sie sich denn genau?« Isolde war ganz Amtsdeutsch.
»Dued Se doch net so. Ihr schteckd doch alle onder oiner Deck.«
»Meinen Sie nicht, dass das etwas pauschal ist? Worum geht es denn? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Wisset Sie, wie’s uff dere Königsschtroß zugoht am Sonndich? Nur Ausländer. M’r glaubt, m’r war in Ischtanbul. Darüber müssted Se amol schreibe.«
»Äh …«
»M’r traud sich gar net meh uffd Schtroß. Mir hen se drei Mol d’Handtasch g’schtohle, die Zigeiner. Aber darüber derfet Sie wohl net schreibe.«
»Wir können doch nicht über jeden Handtaschenraub berichten!« Das war sachlich falsch. Wir berichteten über jeden Handtaschenraub, von dem wir Kenntnis erlangten.
»Sähet Se«, schnaubte ich. »Des isch des, was i sag. Sie derfet net, wege dere Ausländer, über die wo Sie net die Wahrheit sage derfe. Weil des isch dene Obere net recht, die wo uns an die Dürkei verkaufe.«
»Nein, Sie haben mich falsch verstanden.«
»I will Ihne ebbes sage: Sie send doch alle Kommunischte. An die Wand schtelle müsst ma Sie, z’samme mit dene Dürke. Wenn die ind’ EU kommed, na send mir alle Moslems!«
Ich hörte noch, wie Isolde nach Luft schnappte, und legte auf. Dann wählte ich die Nummer noch mal. Sie ließ es vier-, fünfmal klingeln. Dann ging sie doch wieder ran. »Ringolf?«
»Lisa Nerz«, sagte ich. »Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
Sie klang erleichtert. »Aber gern.«
»Rufen Sie für mich ab Digiprint alle Druckereien im Branchenfernsprechbuch durch und fragen Sie, ob ein gewisser Heiner Berg irgendwo beschäftigt ist, vermutlich als Lehrling. Haben Sie das?«
»Heiner Berg. Hab ich.«
»Sie sind ein Schatz. Ich rufe später noch mal an.«
»Alles klar.« Sie ahnte offenbar nicht, worauf sie sich da einließ.
Ich lenkte Brontë aus dem Ort. Die Müllverbrennung riegelte Münster wie ein Torhaus gegen die Stadt ab. Von dieser Seite sah man das Eisenbahnviadukt, das mit der Anlage zu einem Technikmonument verschmolz. Steile schwarze Staffeln winkelten hinter dem Vereinshaus eines Sportplatzes unters Viadukt hinauf. Oben hockten auf dem Grat des alten Steinbruchs die besseren Häuser. Links schwang die Reinhold-Mayer-Brücke über den Neckar. Dort hausten im Staub der Kohlehalden des Müllkraftwerks zuweilen Penner. Hier hatten der Schüler des PHG und sein Kumpel vom Hallschlag die Steinplatten hinabknallen lassen. Der Februar verschönerte
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