Harte Schule
Weber.«
Entschlossen trat sie durch die Außenpforte. Der Pförtner grinste. Isolde pochte auf persönliche Bekanntschaft mit Weber. Der Pförtner telefonierte und verlangte dann unsere Ausweise, um uns die Hauskärtchen auszustellen.
»Du meine Güte«, sagte Isolde, als wir an den Aktenkisten, Rollwagen und dem Baustellengerümpel entlang der Treppe zustrebten. Die Rechtspflege war eine kafkaeske Angelegenheit. Auf dem zweiten Treppenabsatz wollte sie wissen, wie weit es noch sei. Dritter Stock. Atemlos verlangte sie im Vorzimmer bei Frau Kallweit nach Dr. Weber.
Die Sekretärin vierteilte einen Apfel. Sie hantierte mit einem Messerchen auf einem Tellerchen und verbreitete in ihrem mit wuchernden Pflanzen gefüllten Büro die störrische Atmosphäre von arbeitsrechtlich garantierter Mittagspause. Ihr langes schwarzes Haar glänzte so chemisch wie eine Faschingsperücke. Die Schnute leuchtete karmesinrot wie die Blumen auf ihrer Bluse. Da ich die leibliche Begegnung mit ihr bislang immer hatte vermeiden können, konnte ich hinter Isolde her an ihr vorbeischleichen, ohne dass sie sich mit dem Obstmesserchen zwischen Richard und mich warf.
Isoldes Atem flog noch immer, als wir Richard in der Kammer aufstöberten, die er Büro nannte. Er war trotz seiner etwas über fünfzig Jahre sportlich genug, um in jeden dritten Stock hinaufzurennen, ohne außer Atem zu geraten. Aber er lächelte wohl weniger über Isoldes damenhaften Mangel an Fitness als vielmehr darüber, dass ich sie in meiner Boshaftigkeit am Fahrstuhl vorbeigeschmuggelt hatte. Vor seinem Schreibtisch, der nicht einmal mehr auf dem Sperrmüll das Interesse von Trödlern geweckt hätte, standen zwei Stühle desselben Kalibers. Ansonsten gab es nur Schränke, Aktenordner und Gesetzbücher.
»Bitte nehmen Sie Platz. Womit kann ich den Damen dienen?«
Diesmal musste Isolde mir den ersten Aufschlag lassen.
»Letztes Jahr«, sagte ich, »wurden zwei Jungs verurteilt, weil sie Steinplatten auf Penner geworfen hatten, darunter einer vom Paul-Häberlin-Gymnasium …« Ich hob den Daumen für den ersten Teil meines Anliegens und den Zeigefinger für den zweiten. »Ich brauchte die Namen der beiden.«
»Es hat seinen guten Grund«, sagte Richard, »dass die Namen von jugendlichen Straftätern nicht an die Presse gegeben werden.«
»Ich hätte nur gern gewusst, ob einer der beiden Hei ner Berg heißt.«
Richards asymmetrischer Blick sprang zu Isolde hinüber.
»Das fällt doch gar nicht in Ihren Bereich«, bemerkte sie. »Sie sind doch Wirtschaftsstaatsanwalt.«
»Sehr richtig«, sagte er. »Ich fürchte, Sie haben sich umsonst herbemüht.«
»Wir hätten ja auch vorher anrufen können«, sagte Isolde mit einem Seitenblick zu mir.
»Charmanter Besuch ist immer willkommen.«
Sie verstand und erhob sich, während Richard hinter seinem Tisch vorkam, um ihr die Hand zu reichen. Als sie sich mit wehendem Mantel zur Tür wandte, sah er mich an und hob den Daumen.
Kallweit hatte inzwischen ihren Apfel geachtelt und drei Scheite verspeist.
»Peinlich«, sagte Isolde draußen im Gang.
»Wieso? Hatten Sie gedacht, dass er Ihnen Auskunft gibt?«
»Aber was wollten wir dann bei ihm?«
»Mir hat er die Auskunft gegeben.«
»So?«
»Es gibt da so Spielregeln. Wenn ein hohes Tier nichts sagen darf, dann holen Sie sich die Bestätigung per Handzeichen.«
Isolde lachte humorlos. »Und woher sollte er die Na men der Schüler denn überhaupt wissen?«
»Weber hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Hat er Sie nicht gestern Abend mit ein paar Zitaten aus der Weltliteratur erfreut? Sehen Sie. Wir wissen also jetzt, dass unser Heiner Berg nicht in einer Druckerei arbeitet, sondern im Gefängnis sitzt, und dass er vorher ins PHG ging. Also hat Steffi mich belogen.«
Isolde widersprach mir am Nachmittag kein einziges Mal mehr.
6
Die Tundra hinter der Leihbibliothek war dunkel und menschenleer. Keine Steffi, kein Marko, nur der Mond. Auf dem Grünstreifen, der Münster bis zu den Schrebergärten am Schnarrenberg durchschnitt, führte die berufstätige Bevölkerung ihre Dackel und verfetteten Vorstehhunde zum Pinkeln aus. Obgleich die Anlage immer wieder durch Bänke, Sandkästen, Tischtennisplatten und Sitzecken aufgemöbelt war, hielten sich dort keine Jugendlichen auf. Blieb nur der Besen . In der Eckkneipe saß ein einzelner Mann beim Viertele. Der Wirt trielte hinter dem Tresen.
»Na, wo sind denn die Kinder heute?«, fragte ich munter. »Waren sie heute schon
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