Harte Schule
mit dem Kinn war der Maulheld, der Anführer, der seinen Mannen den ersten Schlag überließ. Den musste ich haben. Zwar sprang der Weißblonde von der Flanke herbei und knallte mir die Faust gegen den Backenknochen, aber er war zu langsam, mich festzuhalten. Ich duckte mich vorwärts und sprang das Kinn an, fegte ihm den Fuß weg, dass er rückwärts hinschlug, behielt seinen Arm, riss ihn auf den Bauch, trat ihm ins Schulterblatt und kugelte ihm den Arm aus. Er brüllte. Die Gestalten um mich herum froren fest.
Dann gab es einen Filmriss. Ich erlangte die Besinnung erst wieder, als ich die Entscheidung traf, am Straßenrand zu halten, weil Brontë Schlangenlinien fuhr. Das war dann schon hinter der Müllverbrennung. Was mich schockte, war der Erfolg. Ich war eine schlechte Judokämpferin, durch die Schwarzgurtprüfung war ich unlängst mit Schimpf und Schande durchgefallen, vier Schlägern war ich unterlegen. Ich erkannte mich selbst nicht wieder, auch nicht, als ich daheim im Spiegel die Prellung besichtigte. Was würde Isolde morgen zu der blau schillernden Backe sagen?
Es klingelte, während ich noch vor dem Spiegel stand. Ich hatte vergessen, wie gewöhnlich Ausschau zu halten, ob im dritten Stock der Staatsanwaltschaft gegenüber noch Licht brannte. Der Blick aus dem Küchenfenster bestätigte: Es brannte nicht. Richard stand bereits vor der Tür. Er legte den kuhdunggrünen Trenchcoat über eine Stuhllehne und schaute sich um, als habe er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich meine beiden kahlen Zimmer mit den blanken Dielen, den harten Stühlen, dem Kneipentisch und dem Fernseher auf der Kiste in eine gemütlich möblierte Wohnung verwandelt haben könnte, aus der ihm eine strahlende Geliebte zum Begrüßungskuss entgegenschwebte.
»Oje«, sagte er, als sein Auge auf mein Gesicht fiel.
»Kaffee?«, frage ich.
»Hast du überhaupt schon was gegessen?«
Ich ging in die Küche, um die Kaffeemaschine zu füllen, er kam nach und öffnete den Kühlschrank. »Ich habe mal gehört«, sagte er bedächtig, »dass manche Leute den Kühlschrank zur Aufbewahrung von Lebensmitteln benutzen.«
»Tatsächlich?«
Er machte den Kühlschrank wieder zu und musterte die Schränke.
»Mir scheint es angeraten«, sagte ich, »die Leute von der Steuerfahndung mal zum Besenwirt nach Münster zu schicken.«
»Mit welcher Begründung?«
»Die Steuerfahndung braucht doch keinen begründe ten Anfangsverdacht, um jemandem in die Kasse zu schauen. Außerdem schenkt der Wirt Alkohol an Minderjährige aus, Cola mit Bier. Diesel nennt sich das Gebräu.«
Richard förderte eine Tüte Lebkuchenherzen, die Weihnachten überlebt hatten, aus dem Schrank und verzog angewidert die Lippen. »Aber es geht dir nicht um Alkohol, nehme ich an.«
»Nicht direkt.«
Die Kaffeemaschine begann zu rülpsen. Ich nahm Richard die Tüte Lebkuchenherzen weg und riss sie auf. »Der Besenwirt hat mir eine Warnung zukommen lassen, auf die ich gerne antworten würde.«
»Mit Hilfe der Steuerfahndung?«, fragte Richard trocken. »Du musst ja über einen beachtlichen Apparat verfügen.« Er holte Tassen und Löffel aus den Schränken.
»Ich kann den Wirt auch anonym beim Finanzamt denunzieren«, sagte ich. »Von den paar Münzen, die die Kinder bei ihm lassen, kann er niemals leben. Trotzdem verfügt er über einen Schlägertrupp. Wer solche Ausgaben hat, muss auch Einnahmen haben. Wahrscheinlich verkauft er Kinderpornos. Der kann ruhig mal ein biss chen Angst kriegen.«
Meine eigene Angst zitterte beim Einschenken im Kaffee nach. Richard beobachtete mit gerunzelter Stirn, wie die Pfützen zu Füßen der Becher größer wurden. Dann nahm er den Lappen vom Wasserhahn und wischte erst die Becher und dann die Platte ab.
»Angst führt selten zu etwas Gutem«, bemerkte er.
»Dein ganzes Rechtssystem lebt von der Angst.«
»Was nur beweist, dass die Angst vor Strafe zu ungeahnten Leistungen anspornt. Im schlimmsten Fall führt sie dazu, dass jemand jemandem etwas antut, damit er ihn nicht verpfeift.«
»Wie Marquardt?«
Richard nahm den Kaffeebecher und spitzte blasend die Lippen. »Dazu sage ich nichts.«
»Warum bist du dann hier?«
Er ließ den Becher sinken. »Ich muss schon sagen, es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Gefühllo sigkeit du deine persönlichen Beziehungen dem Job unterordnest.«
»Ja, nicht!«
Ich hatte wieder mal den Eindruck, dass ich es hätte anders anfangen müssen, um ihm den Boden zu bereiten für das, was
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