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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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hier?«
    Der Wirt zuckte mit den Achseln. Wenn die Jugend sich unter solchen Kinderfresseraugen versammelte, musste es schlimm bestellt sein um Anlaufstellen.
    »Kommen auch noch andere hierher außer den Schwarzen? Zum Beispiel die Glatzen?«
    »Hier derf jeder nei, der wo zahlt.«
    Der einsame Viertelesschlotzer spitzte die Ohren.
    »Haben sie viel Geld, ich meine, die Glatzen?«
    »Woiß i net.«
    »Müssen Sie öfter mal große Scheine wechseln, oder zahlen die mit Münzen?«
    »Des scho eher.«
    Wozu bläute man uns ein, dass der Journalist keine Oder-Fragen stellte? Eine vage Antwort auf eine nach allen Seiten offene Frage konnte so exakt ausfallen, dass die Logiker blass wurden. Das ist Kommunikation!
    »Gibt es unter ihnen einen, der so richtig Geld hat?«
    »Woher soll i des wisse?«
    Ich stellte mich so, dass ich den Wirt gegen den Lauscherblick des Viertelesschlotzers abschirmte, und legte einen großen roten Schein auf die Theke. Der Wirt bekam einen feuchten Blick.
    »Wissen Sie«, raunte ich, »ich bin von der Zeitung. Ich suche den Kerl unter den Schülern, der die großen Sprüche klopft und das dickste Mofa fährt, den mit der Rolex am Arm.«
    Der Wirt nahm eine Flasche aus dem Regal, füllte ein Glas mit Cognac und nahm im Gegenzug den Fünfziger von der Theke. »Kommet Se nachher wieder, inner Schdund o’g’fähr.«
    Ich kippte den Cognac. Draußen war es arschkalt. Wenn es wenigstens geschneit hätte, aber die schwarzen Wege mit den zusammengesunkenen Schneehäufchen zwischen den geparkten Autos, das war wie Leichenstarre.
    Das Gefängnistor am vorderen Schulhof reizte. Dahinter war die Welt verlassen. Nur durch die Rollos zweier Fenster in Bodenhöhe knisterte Licht. Dort wohnte wohl Hausmeister Treiber. Ein eingeschossiger Flachbau versperrte den hinteren Schulhof. Hinter den Scheiben dunkelte eine Durchgangsaula. Genau über dem Flachdach war im Haupthaus ein kleines Fenster gekippt. Ein Regenrohr erleichterte den Aufstieg. Da ich mir wegen der Fenster des Hausmeisters Mühe geben musste, leise zu sein, dauerte es eine Weile, bis ich das Klappfenster aus den Angeln gehoben hatte. Das Pissoir gab einen guten Tritt für den Abstieg ins Klo.
    Eine nächtliche Schule ist noch geiler als eine leere Tiefgarage um Mitternacht. Durch die Fenster an den Enden der Gänge fiel schräges Licht. Jeder Schritt knallte in heiliger Stille. Hinter jeder Ecke konnte das Gespenst des Hausmeisters lauern. Selbstverständlich waren Rektorat und Lehrerzimmer verschlossen. Die Türen widerstanden auch meiner Kreditkarte. Ich tappte weiter. Vom Fenster an der Treppe konnte man in den hinteren Schulhof blicken. Die Physikräume waren dunkel. Ich öffnete das Fenster und schaute zu den Lehrerzimmerfenstern hinüber. Lohnte es sich wirklich, den Hals zu riskieren, um an Simsen und Nuten zum Lehrerzimmer zu klettern? Andererseits war ich, wenn ich es recht bedachte, noch nie in einem Lehrerzimmer gewesen.
    Die nächstgelegene Tür war unverschlossen. So perfekt war der Hausmeister dann doch nicht. Ich fand mich in einer Asservatenkammer wieder. Auf dem Tisch warteten die Schachteln mit Tafelkreide für den nächsten Morgen. Im Schrank lagerten Neonröhren, Schwämme und Diaprojektoren. Eine Taschenlampe erleichterte die Suche nach Schraubenzieher und Flachzange. Es war nicht schwierig, von der Lehrerzimmertür Knauf und Schild abzuschrauben. Das Ende der inneren Klinke rag te einen knappen Millimeter hervor, gerade genug, um die Flachzange anzusetzen. Ich hörte, wie sich die Falle bewegte, aber die Tür war verriegelt. Ich schraubte alles wieder an, zog die Lederhandschuhe an und ging die Brechstange holen. Natürlich war mir klar, dass die Kriminalität mit der Brechstange anfängt. Der Türrahmen splitterte.
    Graue Tische waren in der Mitte zusammengeschoben, drum herum gut zwei Dutzend Stühle, auf den Tischen Bücher wie Platzhalter, ein Stapel Klassenarbeiten, Kugelschreiber, Kaffeebecher. Ein angrenzendes Zimmerchen roch nach abgestandenem Zigarettenrauch. An der Türwand standen Kaffeemaschine, Kopierer, Garderobenschrank, Schreibmaschinen, ein alter Computer, ein Telefon, Sektgläser. Auf den Büroschränken unterhalb der Fenster der Große Brockhaus, der Duden. Die Fächer für die rund fünfzig Lehrer nahmen eine weitere Wand ein. Sie waren offen und hatten die Höhe eines Kaffeebechers. Manche waren bis obenhin voll gestopft, andere peinlich leer, zum Beispiel Marquardts Fach; das hatte sicher die Polizei

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