Harte Schule
er mir eigentlich hatte sagen wollen, als er in seinem Büro gegenüber lauerte, bis bei mir die Lichter angingen. Ich habe nie rausgekriegt, ob er nur egozentrisch war oder ob er die Vernunft anderer so hoch einschätzte, dass er glaubte, er werde verstanden, auch wenn er seinen Standpunkt nur einmal sagte oder gar nicht. Er repräsentierte die Unwandelbarkeit fester Prinzipien, während ich in der Gegend herumflackerte. Sein Kopf war ein fehlerfrei programmierter Gigaspeicher, während mein Hirn nur mit spontanen Eingebungen funktionierte, die oft genug alles zum Absturz brachten. Allerdings brauchte er ein Genie wie mich, das die Passwörter in seinem Speicher knackte.
»Na gut«, sagte ich, da er schwieg, »soll ich nun den Pizzaservice rufen, oder wolltest du mich zum Essen einladen?«
»Oh!« Er verschluckte sich fast. »Leider habe ich schon gegessen.«
Seit vier Jahren kämpfte er darum, mich zum Essen auszuführen. Dass ich Millionärin war, hielt er für einen albernen Witz. Ich hätte ihm schon meine Kontoauszüge vorlegen müssen, aber ich fürchtete, er werde den Beweis so zwingend widerlegen, dass ich am Ende doch noch auf meinen Job beim Anzeiger angewiesen war.
»Tja«, sagte ich, »mit Isolde Ringolf hättest du es leichter.«
»Aber, Lisa!«
»Freilich könnte sie es dir übelnehmen, dass du ihren Freund bei TVCinema verhaftest. Es kostet schließlich auch sie die Karriere in der Presseabteilung. Doch wenn sie es klug anstellt, hat sie dich vorher eingewickelt, und du lässt Holzer in Ruhe, oder du verschaffst ihr zur Entschädigung eine Aufgabe im Pressereferat bei DaimlerChrysler oder im Justizministerium.«
Richard stellte den Kaffeebecher mit einer etwas unbeherrschten Bewegung ab.
»Ich hoffe nur«, fuhr ich fort, »du weißt, worauf du dich einlässt.«
»Lass den Unsinn!«, sagte er. »Frau Ringolf interessiert mich nicht. Die Firmendurchsuchung findet morgen statt. Und wenn sich der Verdacht bestätigt, nehmen wir Holzer gleich mit.«
In meinem Hirn funkte es. Kurt Holzer von TVCine ma und Isolde, die sich über Elsäßer in die Zeitungsredaktion schleimt, dessen Frau im PHG unterrichtet, wo Mar quardt ermordet wird, weil er TVCinema beim Finanzamt angeschwärzt hat, damit ein Staatsanwalt aktiv wird, der mit Isolde flirtet.
»Darf ich das veröffentlichen?«
»Natürlich nicht!«
»Und warum erzählst du mir das? Soll ich Isolde warnen?«
»Das ist schön bei uns Deutschen«, rezitierte er, »keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht. Heinrich Heine.«
Ich grübelte. Während ich das Verrückte mit dem Verrückteren verglich und schlussfolgerte, dass mir der Komparativ zukam, goss Richard den Kaffee in die Spü le, ging ins Wohnzimmer, nahm seinen Mantel und wandte sich zur Tür.
Dort drehte er sich noch mal um. »Übrigens, was diesen Heiner Berg betrifft, sein Kumpel von der Carl-Benz-Schule bekam als Haupttäter die höhere Strafe. Berg wurde wegen Tatbeteiligung am versuchten Totschlag zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Er hat seit drei Monaten Freigang und macht eine Druckerlehre. Heiner Berg war ein Schüler von Marquardt. Er vertraute sich wohl Marquardt an, und der überredete ihn, sich der Polizei zu stellen und seinen Kumpel zu verraten. Aber Berg hat Marquardt nicht ermordet. Er befand sich zur Tatzeit in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Asperg. Der andere sitzt sowieso.« Richard machte die Tür auf. »Und noch was, falls es dich interessiert. Marquardts Schwester kommt morgen aus München.«
Ich baute mir die Schokoladenherzen ein und wählte die Nummer, die auf dem Zettel aus Marquardts Buch in Müller-Elsäßers Fach stand. Niemand hob ab. Isolde Ringolf stand nicht im Telefonbuch, dafür aber Kurt Holzer. Wenn Isolde in der Panoramastraße auf der teuren Halbhöhe wohnte, dann vermutlich in der Wohnung ihres Freundes. Ein Anrufbeantworter setzte sich in Marsch. Der Mann nannte auch den Namen seiner Lebensgefährtin, und ich hinterließ die Nachricht, dass Isolde sich morgen um acht statt in der Redaktion bei mir in der Ne ckarstraße einfinden sollte. Beim Blättern in meinem Adressbuch stieß ich auf Krk. Mal sehen, ob er noch immer in seinem Zahnarzthaus in Degerloch wohnte. Die Telefonnummer war zumindest noch in Funktion. Während es klingelte, popelte ich mir die Schokoladenreste aus den Zähnen.
Es hustete: »Kraus.«
»Nerz.«
»Hi, Bruder.« Krk rotzte.
»Störe ich?«
»Was
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