Harte Schule
beschämenden Schlüsselerlebnissen heranwachsender Mädchen mit der erotischen Begierde. Ich gebe zu, ich war damals in den mir verhassten Geschichtslehrer verknallt. Er tigerte wortgewaltig, spöttisch und gemein vor der Tafel hin und her, und ich malte mir aus, wie ich ihm, obgleich er mir Unrecht getan hatte, das Leben rettete, woraufhin er sich in Dankbarkeit demütigst in mich verliebte. Das hatte schon damals nicht funktioniert. Aber vielleicht gehe ich deshalb immer noch ganz gern Männern an den Schwanz, die sich autoritär gebärden.
Ich hatte noch eine gute Stunde, um mich vor den Kleiderschrank zu stellen und mir zu überlegen, mit wel chen textilen Signalen ich den Pädagogen aus der Reser ve lockte. Als ich in Unterhemd und Schlüpfer die Jacketts sichtete, wäre an sich der günstigste Moment für Richard gewesen herüberzukommen. Ich ließ mir Zeit mit Hemd, Krawatte und Weste. Richard hätte wirklich jede Menge Chancen gehabt, mich bei der Aufrüstung zu stören, aber als er dann kam, war es fünf vor acht und der denkbar ungünstigste Augenblick.
Richards Mimik war außerdem versteinert. Seine Augen wichen mir mit einer Feigheit aus, welche die unmittelbare Gefahr verriet, dass er mich andernfalls sofort ermordet hätte. Er blieb am Tisch stehen, fuhr mit den Fingerspitzen über das Furnier und die Kaffeeringe, die unauslöschlich darin eingebrannt waren, und schärfte schließlich den bösen asymmetrischen Blick.
»Ich habe dir gestern Abend im Vertrauen erzählt, dass wir heute die Zentrale von TVCinema durchsuchen würden. Als wir heute früh um acht dort ankamen, hatte Kurt Holzer sich bereits abgesetzt, Beweismaterial war nicht mehr vorhanden, und die Presse kam auch schon.«
»Ich habe Hirsch den Tipp erst heute Morgen gege ben«, stammelte ich und ermaß langsam die Tragweite.
»Und wann hast du Isolde den Tipp gegeben?«
Ich starrte ihn an.
Er wandte den Blick ab. »Ich dachte immer, ich dürfte davon ausgehen, dass es auch zwischen uns ein paar fundamentale Spielregeln gibt. Ich bin es mittlerweile gewöhnt, dass du gegen mich arbeitest, aber diesmal bist du zu weit gegangen. Kleine und im Übrigen völlig unbegründete Eifersüchteleien können doch nicht dazu führen, dass man das Vertrauen eines anderen derartig missbraucht.«
»Ha! Vertrauen!«, sagte ich.
Da klingelte es.
Musste der Lehrer so pünktlich sein? Noch nie hatte ich gesehen, wie bei einem Menschen so schlagartig der Laden runterging wie bei Richard in dem Moment, da Zeller in Kordhosen, Wetterjacke und Pullover zur Tür hereinmarschierte. Es dauerte nur drei Sekunden, in denen meine Welt zusammenkrachte, da hatte Zeller das Klassenzimmer erobert, und Richard resignierte mit eisiger Höflichkeit und löste sich in Luft auf.
Zeller stand verlegen herum, war es aber nicht. Beim Rundblick schichtete er hinter seiner breiten Stirn die Vorurteile. Er kam aus dem überheizten Chaos seiner ehelichen Wohnung und heftete mich unter Szene ab. Dann suchte er sich einen Stuhl aus, setzte sich, ohne die Wetterjacke auszuziehen, und bemerkte: »Sie haben mich ja ganz schön an der Nase herumgeführt. Aber ich vermute, Sie tun auch nur Ihren Job.«
»Und welchen Job tun Sie?«, fragte ich automatisch, ohne den Inhalt seiner Bemerkung überhaupt zu realisieren.
Er streckte die Kordbeine aus. »Was ein stellvertretender Schulleiter so tut: Stundenpläne machen, Fehlstunden organisieren …«
»Dann können Sie mir sicherlich sagen, wer einen Schlüssel zum Tor im Zaun des hinteren Schulhofs hat, außer Frau Schneider, Otter, dem Hausmeister und Ihnen.«
»Ich habe zum Beispiel keinen, aber die drei Sportlehrer, denn schließlich kommt man durch das Tor zum Bolzplatz. Und nun sagen Sie mir mal, was Sie letzte Nacht im Lehrerzimmer gesucht haben.«
»Wie bitte?«
»Stellen Sie sich doch nicht blöder, als Sie sind. Ich weiß, dass Sie es waren. Sie haben Steffis Test auffällig schnell gefunden. Sie wussten, wo Sie suchen mussten, denn Sie haben die Tests aus dem Fenster geworfen. Und nun will ich wissen, warum.«
»Mich hat man im Kindergarten noch mit einem Kreidestrich auf der Nase für Neugierde bestraft«, sagte ich. »Haben Sie nicht etwas Kreide dabei?«
»Ich kann auch anders!«
»Nein, mein Lieber, Sie können nicht anders.«
Zeller stand auf. Das Zimmer wurde auf einmal ziemlich eng. »Ich bestehe auf einer Erklärung«, sagte er mit gerecktem Kinn.
Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen, um die physische
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