Harte Schule
Konfrontation zu mildern. »Zeigen Sie mich doch an. Aber Beweise sollten Sie schon haben.«
Zeller ballte die Hände in den Jackentaschen und starr te auf mich herab. Doch statt aus dem Vollen seiner pädagogischen Gemeinheiten zu schöpfen, sagte er müde: »Ich dachte, Sie seien ebenso wie ich ernsthaft an der Aufklärung des Mordes interessiert. Sie hätten ja etwas suchen können im Lehrerzimmer.«
»Zum Beispiel eine CD. Was ist denn da drauf?«
»Weiß ich nicht.« Zeller setzte sich wieder und musterte die Kaffeeringe auf dem Tisch. »Haben Sie einen konkreten Verdacht?«
»Und Sie?«
»Wie stellen Sie sich das vor? Bei fünfhundert Schülern und zweiundsechzig Lehrern!«
»Der Mörder ist immer der Hausmeister«, schlug ich vor.
Zeller lächelte gequält. »In diesem Fall nicht. Er hat ein Alibi. Nach Aussagen seiner Frau hing er Dienstagabend mit Magenkrämpfen vor dem Fernseher, als die Schüler der Esoterik-AG das Haus verließen. Eine Viertelstunde später ist Frau Treiber gegangen, um zu schließen. Da gab es im Film eine Werbepause. Ich fürchte, für die Tat kommt nur einer der Schüler der AG in Frage.«
»Sie fürchten?«
»Mein Gott, wie denn nicht?! Es sind Vierzehn-, Fünfzehnjährige. Sie sind keine Engel, aber Mörder? Wenn einer von ihnen auf Marquardt losgegangen ist, dann muss er einen Grund gehabt haben, einen schwerwiegenden, hoffe ich. Im Grunde sind wir es, die aus Kindern Verbrecher machen. Aber wir kommen ungeschoren davon, und sie trifft die ganze Härte des Gesetzes.«
Ich bückte in den Abgrund von Menschlichkeit, den Zeller da kurz öffnete. »Haben Sie Steffi im Verdacht?«
Sein Blick fluppte hoch und weg. »Wie kommen Sie auf Steffi? Da gibt es doch auch noch diese Birte Gerber. Sie kommt mir immer vor wie ein Vampir, vermutlich, weil sie die Lippen so blutrot anmalt und immer an irgendetwas lutscht und kaut. Ihre Eltern betreiben eine Reifenhandlung in Münster.«
»Wer noch? Marko Vasiljevic?«
»Marko geht überallhin, wo Steffi hingeht. Dabei sind sie kein Paar, soweit ich weiß. Jöran Fischer ist der Vier te im Bunde. Früher nannten wir so was ein Kleeblatt;«
Jöran war der Skater mit den Pickeln, ich erinnerte mich.
»Aber Mörder sind die nicht«, sagte Zeller. »Kleinkriminelle vielleicht. Jöran hat vor zwei Jahren noch in Kaufhäusern geklaut wie ein Rabe, bis er mal erwischt wurde. Seitdem ist mir nichts Derartiges mehr zu Ohren gekommen. Mittlerweile ist er strafmündig, und da er der Intelligenteste von den vieren ist, hat er wohl kapiert, worauf es ankommt. Marko ist Kroate, ohne dass ich damit irgendetwas sagen will. Er ist durchaus gewaltbereit und vermutlich bewaffnet, aber im Grunde ein anständiger Kerl. Zuweilen bemüht er sich, in der Schule mitzuhalten, vermutlich immer dann, wenn sein Vater ihm wieder mal den Kopf gewaschen hat. Der Vater betreibt eine Schuhflickerei in Münster.«
»Und wer ging noch in Marquardts AG?«
»Aus seiner Klasse niemand weiter. Die drei anderen gehen in die 10 a. Petra Fuhr ist eine echte Hochbegabte. Sie hat die Neun übersprungen. Wenn sie nicht so begabt wäre, wäre sie vermutlich längst abgedriftet. Sie hängt mit den Grufties herum.«
Ich überlegte, ob ich sie bei den Goten im Besen gesehen hatte.
»Dann sind da noch Mark Frech, ein Punk, den sie Fickfehler nennen, und sein Freund, ein Glatzkopf, aber nicht das, was sie Faschos nennen, sondern ein Oiskin. Er heißt Karl Schuster. Sein Kriegsname ist Zampano. Mark Frech ist absolut zu. Er ist intelligent, aber er verweigert sich total. Er stammt aus einer ganz ordentlichen Beamtenfamilie. Sein Protest richtet sich vor allem gegen seinen Vater, aber er hatte auch was gegen Marquardt.«
»Warum ging er dann zu ihm in die AG?«
Zeller zuckte mit den Achseln. »Ich halte Mark für den Typ, der sich in seine Gegner verbeißt. Seinen Sprüchen nach wäre für Mark Mord eine gute Tat, aber ich traue es ihm nicht zu. Petra Fuhr hat mir berichtet, dass sie erst nach Weihnachten zusammen in die AG gegangen sind. Ich wollte ihre Aufschriebe sehen, aber sie sagte, es habe bislang nichts zum Mitschreiben gegeben.«
»Zu meiner Zeit«, sagte ich, »gab es eine evangelische Religionslehrerin, die uns solche Fragen beantwortete wie, ob man vom Küssen ein Kind bekommen kann.«
»Darüber dürfte die heutige Jugend hinlänglich informiert sein.«
»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen. Steffi ist offensichtlich in Marko verknallt. Aber Marko fühlte sich fatal
Weitere Kostenlose Bücher