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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zu Marquardt hingezogen. Weder Steffi noch Marko können darüber reden.«
    Zeller zog die Brauen zusammen.
    Ich schlug ihm vor, irgendwo was trinken zu gehen, falls er nicht heim zur Ehefrau musste. Er schaute auf die Uhr und stand auf. Bei so viel Größe, Standfestigkeit und Schlagfertigkeit konnte ich mir leicht vorstellen, dass er in Mittelstufenklassen keinerlei Disziplinschwierigkeiten hatte. Wahrscheinlich hätte eigentlich er der Rektor des Gymnasiums werden müssen. Dass ich ihn kompromittieren könnte, fürchtete er nicht. Von seinen Schülern war er noch ganz anderen Mummenschanz gewohnt. Ich stellte ihm Brontë vor.
    »Charlotte oder Emily?«, erkundigte er sich. »Wie hieß doch gleich die dritte?«
    »Anne.«
     
    Bad Cannstatt liegt im Osten Stuttgarts im Neckarknie, besteht auf ideeller Unabhängigkeit und versammelt auf verhältnismäßig kleinem Raum Kurpark, Altstadt, Ver kehrsadern, unzählige Bahnlinien, Stadion, Schleyer-Halle, Friedhof, städtische Münze, Industrie und Volksfestplatz.
    Ich kurvte südlich des Uff-Friedhofs zwischen Bahnlinie und Landeskriminalamt eine Weile durch hochge schlossene Häuserzeilen, bis ich die Wörrishofener Stra ße fand. Sie endete an der Bahntrasse. Die Parkplatzsituati on war Freitagabend alles andere als optimistisch zu bewerten, aber Brontë hatte einen Blick für Lücken. An den Ecken standen allerlei Männer.
    Einer rauchte am Eisentor zu einem Hinterhofeingang. Ich erkannte ihn sogleich, er mich erst, als ich »Hallo« sagte. Krk hatte sich kaum verändert. Immer noch trug er erdfarbene Jacketts und Hemden. Sein Haar war etwas struppiger, grauer und spärlicher geworden, die Tränensäcke unter den scheinwerfergroßen Augen waren etwas markanter. Er leuchtete meinen stattlichen Begleiter ab.
    »Na, dann wollen wir mal.« Krk wandte sich dem Hinterhof mit den B- und C-Eingängen zu.
    Zeller zögerte.
    »Was ist?«, erkundigte ich mich munter. »Sie haben sich doch den Artikel über den Club in der Wörrishofe ner Straße extra aufgehoben.«
    Krk grinste nachsichtig.
    Zeller straffte die Schultern. »Was fällt Ihnen ein! Ich habe Frau und Kinder! Wie kommen Sie eigentlich dazu …« Er zutzelte plötzlich an einem bösen Lächeln. »Jetzt haben Sie sich verraten. Von dem Artikel in meinem Fach können Sie nur wissen, wenn Sie gestern Nacht im Lehrerzimmer waren! Künstlerpech, Frau Nerz, oder ist Ihnen Herr Nerz lieber? Außerdem habe ich die sen Artikel weder ausgeschnitten noch in mein Fach gelegt. Guten Abend, meine Herren!«
    Krk pfiff und blickte der Allwetterjacke versonnen hinterher. »Gewisse Dinge ändern sich nie«, stellte er fest, »deine Ermittlungsmethoden und das Erscheinungsbild von Lehrern. Dieser entrüstete Herr stinkt hundert Meter gegen den Wind nach Pädagoge. Aber der Schulhofmörder ist er nicht. Der trieft von Aufrichtigkeit, hart, aber gerecht. Ich kenne diesen Typ. Die Familie ermüdet ihn, die Schule kotzt ihn an, und das Geld langt nie richtig fürs Eigenheim und den Urlaub, aber hinter dem Panzer von Zynismus hütet er Prinzipien. Er würde nie in der Schule privat kopieren, aus demselben Grund, warum er nicht mit dir ins Bett geht, aus stinkbürgerlicher Angst vor dem, was er sonst noch tun könnte, wenn der Damm gebrochen ist.«
    »Dann ist er der ideale Mörder.«
    Krk lachte. »Übrigens, gut siehst du aus. Was ist nun? Müssen wir da noch hinein, oder hat sich das erledigt?«
    Ich wusste im Moment die Antwort nicht.
    Krk lächelte. »Na gut, wenn wir nun schon mal hier sind. Nur Mut, Bruder.«
    Wie hatte ich nur vergessen können, wie vertraut mir Krks Nachsicht war. Mir war wieder, als könnten solch duldsame Wärme nur Menschen ohne Selbstachtung ausstrahlen, kaputte Typen wie Krk, die schon alles Menschliche hinter sich hatten und außer der Fähigkeit, jederzeit mit jedermann eine riskante Beziehung einzugehen, nichts besaßen, was ihre Persönlichkeit fassbar machte. Ich dachte an den braven, zielstrebigen Richard, der schwindelfrei über all seine Abgründe balancierte, und mein Magen krampfte.
    Krk ging mit leicht eingezogenem Kopf voran durch einen von Klinkerwänden und verglasten Küchenbaikonen sechs Stockwerk hoch eingeschachtelten Hinterhof, der den Zugang zu drei Haustüren mit langen Latten von Klingeln schaffte, und steuerte eine vierte Tür hinter einem nachträglich angebauten Fahrstuhlschacht an. Er klingelte. Die Gegensprechanlage quäkte. Krk nuschelte codewortmäßig einen Namen und Grüße.

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