Harte Schule
Tittenfisch!«, keifte Steffi.
»Steffi!«
Sie duckte sich.
»Wie ist in so einem Fall das übliche Verfahren, Herr Hauptmeister?«, erkundigte ich mich.
Ein winziges Lächeln stahl sich unter dem Schnauzer hervor. »Kommen Sie mal mit, Frau Nerz«, nuschelte er und begab sich, das Zentnergewicht der vierfachen Gravitation der vierten Morgenstunde auf den Schultern und Knitterfalten im Hemd, in einen um die Ecke liegenden Aufenthaltsraum, in dem ein Fernseher stumm einen Nachtporno ausstrahlte. An der Wand ein Plakat mit den Ecstasy-Marken.
»Kaffee?«, fragte er und füllte zwei Tassen. »Sie haben heute Nacht sicher auch was Besseres vorgehabt.« Sein Grinsen enthielt Rudimente deftiger Männerwitze. Auf dem Tisch lag ein Prospekt für Polizeiausrüstung: Pistolentaschen, kugelsichere Westen, Handschellen, Taschenlampen, Lederjacken. »Aber Scherz beiseite. Die junge Dame sollte zunächst mal das Protokoll unterschreiben.«
»Der Kerl«, sagte ich ohne Umschweife, »der vermutlich den Wagen gefahren hat, heißt Marko Vasiljevic, fünfzehn Jahre. Seine Adresse kriegen Sie in der LPD II in Stuttgart von KOK Weininger.«
Wieder das ironische Minilächeln. Die Schutzpolizei fühlte sich nicht ganz zu Unrecht gern geringschätzig behandelt, nicht nur von der Kriminalpolizei, sondern auch von uns, dem Bürger. Der Polizeihauptmeister lehn te sich zurück, hakte den Daumen in den Gürtel und dehnte den Bauch.
Jedes Wochenende dasselbe Spiel: Unfall auf der Landstraße. Sieben Jugendliche von der Straße abgekommen. Manchmal Tote, immer Schwerverletzte. Oder die Verkehrsüberwachung beobachtet einen BMW mit breiten Felgen und glänzenden Auspuffrohren, der mit zweihundert durch eine Autobahnbaustelle brettert. Bei der Verfolgungsjagd bringt der jugendliche Fahrer sich selbst und zahlreiche Bürger in Lebensgefahr. Die Disko in Asperg belegt die Gegend mit einem Fluch. Wenn man nach 22 Uhr jedes minderjährige Mädchen aufgreifen wollte, wäre das Revier ein Kindergarten. Manche sind erst zwölf, aber geschminkt wie Nutten. Ab vier Uhr morgens schlottern sie an den Bus- und Bahnhaltestellen. »Manchmal haben wir einen Jugendlichen das ganze Wochenende auf dem Revier in der Zelle, bis die Eltern Sonntagabend endlich auftauchen.«
Ich leerte die Tasse lauwarmen Kaffees mit vier Schlucken.
»Was wir den Erziehungsberechtigten dann über ihren Sohn oder ihre Tochter mitteilen müssen«, fuhr der Polizist fort, »hören sie zum ersten Mal. Selbst wenn wir ihnen den Schnee zeigen, bestreiten sie noch, dass ihr Kind Drogen nimmt. Erst schimpfen sie auf den Polizeistaat, dann auf ihren Jungen. Er horcht nicht, sie hätten keinen Einfluss. Am liebsten wäre es ihnen, wir behielten den Sohn da, damit es ihm eine Lehre ist. Sie scheinen zu glauben, sie hätten genug getan, wenn sie dem Kind die Hi-Fi-Anlage, einen Videorekorder und einen Computer kaufen. Der Bürger beklagt die steigende Kriminalität. Aber wenn ich ihm sage: Das ist Ihr Sohn, der im Kaufhaus klaut und sich einen Wagen für eine Spritztour ausleiht, dann fällt er aus allen Wolken. Der Sohn hat doch alles, der trägt Kleider im Wert von tausend Euro und zieht trotzdem anderen auf dem Bahnhof die Jacke ab. Manchmal denke ich, die sind von einem Virus befallen. Nokia, Nike, Levi’s, Esprit. Und von den Eltern kriegen sie nichts zur Stärkung des Immunsystems. Die sind selber infiziert.«
Der Hauptmeister gehörte zu jenen Nachtschichtphilosophen, die einen Gedanken dadurch ermüdeten, dass sie ihn dreimal in jeweils detailreicherer Ausführung wiederholten, sobald sie merkten, dass das Gegenüber die Grundidee begriffen hatte. Im Laufe der folgenden halben Stunde nahm das Virus epidemischen Charakter an, vernichtete ganze Generationen und verwandelte einst idealistische Jugendliche in Roboter der Konsumindust rie. In amerikanischen Labors ausgeheckt und über McDo nald’s und Coca-Cola Verbreitet, diente das Virus Adi das und Nike dazu, ihre Produkte in jede noch so kreuzbrave Familie einzuschleusen, wo sie sich Geld fressend vermehrten.
»In Gottes Namen«, seufzte der Polizist endlich, »springen Sie und nehmen Sie die junge Dame mit.«
Ich zwang Steffi, das Protokoll zu unterschreiben. »Wurde aber auch langsam Zeit«, sagte sie, als die Glastüren hinter uns ins Schloss fielen. Ich gab ihr einen Stoß, dass sie drei Schritte stolperte.
»He!«, schrie sie. »Bist du jetzt sauer oder was?! Was hab ich denn gemacht? Glaubst du, ich geh da hin und sage:
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