Harte Schule
nur eine Hecke, die den Plattenweg ums Haus bedrängte. Steffi gedachte nicht, einen Schlüssel zu benutzen. Sie schlug sich durch die Hecke zur rückwärtigen Hausecke, tippte gegen ein angelehntes Fenster in Überkopfhöhe und erklärte, dies sei ihr Zimmer.
»Auf geht’s«, sagte ich. Das blanke Entsetzen stand ihr ihm Gesicht. Ich griff in den Fensterrahmen und zog mich hoch. Für den Fuß bot das Haus den Sims eines umlaufenden bräunlichen Sockels. Steffi krallte sich plötzlich in meine Jacke. Ich deutete den Schlag mit dem Unterarm gegen ihre Gurgel an. Sie sank schluchzend am Haussockel zusammen. Ich sprang hinab und hockte mich neben sie. Im Gebüsch raschelte Getier. In der Fer ne röhrte ein Auto. Sie schluchzte demonstrativ.
»Ich weiß«, sagte ich, »es ist unfair. Für dich ist alles das erste Mal, aber ich weiß immer schon alles. Hast du schon mal daran gedacht, dass man die Erfahrungen der Erwachsenen auch nutzen kann?«
»Wie denn? Sie schreien immer nur und schimpfen.«
»Ich nicht.«
»Haha.«
Sie hatte ja Recht: Das Tun und Lassen der Teenies ist eine ununterbrochene Kette von Strafbarkeit.
»Komm, bringen wir es hinter uns«, sagte ich. Sie schniefte ein bisschen, schwang sich dann aber behände zum Fenster hinauf und hinein. Ich krallte mich hinterher. Drinnen war es schläfrig dunkel. Steffi stellte sich vors Bett. Das Wesen unter der Decke schnurchelte auf dem Bauch, den schwarzen Schöpf im Kissen. Steffis Überraschung war schlecht gespielt. Ich ließ mich auf der Bettkante nieder und rammte dem Schlafenden den Unterarm quer über den Nacken. Das Wesen schnarchte auf, röchelte und spannte sich. Aber wer den Kopf unter Kontrolle hat, hat den ganzen Körper unter Kontrolle. »Licht an!«
Steffi rührte sich nicht. Ich kam selbst ans Nachttischlämpchen. Micky-Mäuse leuchteten auf der Bettwäsche auf. Rundum reckten sich gebräunte Boys auf Pop-Plakaten. In den Ecken erwachten hellblaue, rosafarbene und hellgrüne Plüschbären. Das Wesen im Bett war Mar ko. »Keine Panik!«, flüsterte ich ihm ins Ohr und ließ los. Er war zu benommen, um auszuschlagen.
»Was issen los?«
Ich hatte noch nie ein Zimmer gesehen, in dem kein einziges Buch stand, nicht einmal Schulbücher oder Comic-Hefte. Steffi plakatierte Boy-Groups mit entblößten Armen und Waschbrettbäuchen. Marko im Unterhemd war weiß und mager und kratzte sich den Kopf. Auf dem Oberarm eine Tätowierung.
»Ich habe deine Freundin in Bietigheim bei der Polizei abgeholt«, sagte ich.
»Ich bin nicht seine Freundin«, keifte Steffi leise.
»Was macht er dann in deinem Bett?«
»Er hat Stress daheim.«
»Und was sagt deine Mutter dazu, dass du einem polizeilich gesuchten Verbrecher Unterschlupf gewährst?«
In Marko kam schlagartig Bewegung. Er angelte nach seinen Hosen.
»Er hat nichts getan«, behauptete Steffi.
»Und wie war das heute Nacht mit dem Auto?«
Marko sah auf. »Hä?«
»Steffi!«, bellte ich.
»Seht, leise, verdammt noch mal«, zischelte Steffi.
»Wieso? Ich denke, deine Mutter ist bei ihrem Freund.«
Steffi zappelte. »Also, ich glaube, ich habe den Bullen aus Versehen die falsche Nummer gesagt. Ich kann mir unsere Nummer nie merken.«
»Wenn du jetzt nicht sofort die Wahrheit sagst«, flüsterte ich, »dann schreie ich.«
»Ich habe doch gesagt, dass der Kerl in dem Auto mich vergewaltigen wollte. Ich hab ihn in der Müllstation kennengelernt. Er wollte mich heimfahren. Aber als er auf den Parkplatz rausfuhr, hab ich sofort gewusst, der ist nicht sauber. Ich hab ihm ein Brett verpasst, da ist er gegen das Klohäuschen gefahren. Ich bin raus und weg. Aber es war so dunkel auf dem Parkplatz, voll gruselig. Ich bin wieder zurück zum Auto, und dann waren die Bullen auf einmal da.«
»Und warum sagst du mir am Telefon, es war Marko?«
Marko unterbrach den Kampf mit dem Holzfällerhemd.
»Hab ich das gesagt?«, haspelte Steffi. »Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Ich hatte voll überhaupt keine Peilung mehr. Die wollten mich einsperren! Du hast doch selber gesagt, ich hätte Gelatine im Hirn. Ich konnte nicht ahnen, dass du Marko sofort bei den Bullen verpfeifst.«
»Was?«, fragte Marko.
»Seht, seid doch leise!«
Ich war auf einmal fürchterlich müde. Marko stand auf, zog sich die Hosen an und zurrte den Gürtel um die knochigen Hüften. Dann setzte er sich wieder, um die Nikes zu schnüren.
»Bist du jetzt böse?«, erkundigte sich Steffi.
»Probier’s doch künftig mal gleich
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