Harte Schule
erscholl Herrengelächter. Ich fasste in etwas Weiches. Es kreischte, schlug mir Krallen in die Hand und zischte an meiner Nase vorbei in die Weite der Nacht. Ich ließ mich auf den Boden fallen und hielt die Luft an. Die Platten waren so kalt, dass es ins Gedärm schnitt. Die Dame des Hauses ließ sich einige eisige Sekunden Zeit, doch dann knirschte der Hebel der Terrassentür und Stöckelschuhe klackten auf der Schwelle.
»Moritz?«
Rockfutter raschelte, Sohlen knisterten auf Stein. Ich wünschte mich zur Maus. Sie trat vor und bohrte mir den Pfennigabsatz in meine ungünstig herumliegende Hand. Ich schrie nicht, aber sie.
»Da liegt einer!«
Ich hatte kaum damit begonnen, mich aufzurichten und mein Inkognito aufzuheben, da stürzte Richard schon auf die Terrasse, packte mich am Kragen und riss mich auf die Füße. So mordlustig hatte ich ihn noch nie gesehen. Er schüttelte mich, unfähig ein Wort zu sagen, und gab mir einen Stoß, dass ich, begleitet von einem neuen Aufschrei Müller-Elsäßers, rückwärts in den Steingarten fiel.
»Aber, Frau Nerz«, sagte Elsäßer. »Was machen Sie denn hier?«
Ich befreite mich aus Stein und Erde und matschte den oberflächlich gefrorenen Hang hinauf. Mit den Stiefeln schleppte ich Wurzelwerk und Erdbollen auf die Terras se. Müller-Elsäßer schlug die Hände ans Kinn.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich bezahle Ihnen den Schaden.«
»Den bezahle ich!«, fauchte Richard. Er sah aus, als würde er mir nie verzeihen, dass er die Beherrschung verloren hatte.
Elsäßer räusperte sich. »Haben Sie sich wehgetan? Sie bluten ja. Kommen Sie erst mal rein. Margot!«
Margot Müller-Elsäßer hatte meine von ihrem Absatz gemarterte Hand schon ergriffen und besichtigte die Quetschung. Ich arbeitete mir an der Schwelle zum Haus linkshändig die Sparks von den Hacken. Margot führte mich durchs Wohnzimmer, durch einen Flur und treppauf in ein lindgrün gekacheltes Bad. Das Licht gab ihrem roten Haar einen kunstseidenen Glanz und dem scharfen Gesicht eine chemische Bräune. Die Lippen hatten einen Zug ins Pfeffrige.
»Das sieht bös aus.« Sie löste die grauen Augen von den erdverschmierten Wunden und wandte sich dem Apothekenschränkchen neben dem Spiegel zu. Während sie kramte, zuckte ihr Blick in den Spiegel, und sie schob sich mit klirrenden Armreifen eine Strähne aus der Stirn. Ich konnte die Finger noch bewegen, also nichts gebrochen. Die Frau roch nach 1881 von Cerruti. Sie befeuchtete ein Abschminktüchlein unter dem Wasserhahn, wandte sich mir zu und betupfte meine Hand, während ich mich auf dem Badewannenrand niederließ.
»Was haben Sie eigentlich da draußen gesucht?«
»Meinen Hamster. Aber ich fürchte, den hat Moritz gefressen.«
Sie lächelte bindfadendünn. »Tut’s weh?«
»Ich bin Kummer gewöhnt.«
»Solche Sprüche kenne ich von meinen Schülern. Aber haben Sie das nötig?«
»Ehrlich gesagt, ja. Mein Freund hat eben mit mir Schluss gemacht, einfach so, nein, nicht einfach so, zugegeben, sondern weil er die Eifersucht nicht aushält.«
»Eifersucht ist schlimm«, murmelte sie, die Augen auf meine Wunden gesenkt, die Lider grün geschminkt. »Das steckt im Wort Sucht ja schon drin. Sie beherrscht einen bis zur Selbstzerstörung. Hatte er denn einen Grund?«
»Eigentlich nicht.«
»Verstehe. Sie probieren aus, wie weit Sie gehen können. Sie reizen ihn ein bisschen. Finden Sie das fair?«
»Ist es fair, dass er mir keine Chance gibt?«
»Sie sind jung. Sie haben noch hundert Chancen.« Sie warf das Tüchlein in einen Eimer und kramte eine Tube aus dem Schrank. Das Gel kühlte. »Buchen Sie es unter Erfahrung ab. Er passt ohnehin nicht zu Ihnen.«
»Wer?«
Sie lächelte ihre fünfundvierzig Jahre Lebenserfahrung an mich hin. »Ich kenne ihn schon ein bisschen länger als Sie. Er ist ein hochsensibler Mann, und Sie sind – nehmen Sie es mir nicht übel – zu direkt und forsch strukturiert. Außerdem dürften Sie gut zwanzig Jahre jünger sein. Sie überfordern ihn. Ihnen fehlte wohl der Vater.«
»Das ist Küchentischpsychologie.«
»Ich habe Psychologie studiert, bevor ich ins Lehramt wechselte. Ihre Reaktion zeigt mir nur, dass ich wohl nicht ganz unrecht habe. Haben Sie sich nie gefragt, warum Richard nicht verheiratet ist?« Sie knibbelte eine Mullbinde aus der Plastikhülle. Der Apothekenschrank war wirklich gut ausgestattet.
»Sie glauben«, fuhr sie fort, »er finde Sie ganz entzü ckend, weil Sie jung und ungebärdig sind. Aber
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