Harte Schule
wovon ich sie bezahle.«
Eine Zeit lang war Steffi putzen gegangen, aber dann hatte sie eine Flasche Parfüm mitgehen lassen, sie wusste auch nicht genau, warum, denn eigentlich klaue sie nie. Die hundertfünfzig von mir hatte sie dazu gebraucht, eine Jacke zu bezahlen, die sie vor Weihnachten beim Versandhandel bestellt hatte. Die Jacke war von Diesel, und sie hatten sie ihr auf dem Bahnhof von Zuffenhausen abgezogen. Nun bibberte sie im dünnen Nike-Jäckchen.
»Okay«, sagte ich. »Ich gehe mit dir Klamotten kaufen. Aber dafür zeigst du mir jetzt, wo Marquardt seinen Schrebergarten hatte.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Sie trocknete die Tränen und streckte den blau gefrorenen Finger aus. »Da unten. Da, wo sie die Straße gebaut haben.«
Die Ortsumgehung von Münster durchschnitt die Schrebergärten vom Neckar herauf zur Eisenbahnbrücke. Zwischen Ortsrand und Straße saßen die Gartenhäuschen wie gestanzt in einer neuen Anlage. Jenseits der Straße, zum Schnarrenberg zu, krauteten die alten Gärten mit den alten Schuppen.
Richard holte uns auf der Treppe ein, die in die Anlage hinabführte. Er sah unverschämt selbstzufrieden aus. Wir unterquerten die Ortsumgehung und kamen bei den Taubenschlägen des Kleintierzüchtervereins heraus. In den Gärten an der neuen Straße hatte einer damit angefangen, jetzt flatterten an Fahnenstangen überall die deutschen Farben, Piratenflaggen und Damenstrümpfe. Ein Kiesweg führte hinab zur Austraße am Neckar. Ich merkte bald, dass Steffi nur noch eine vage Vorstellung hatte, wo Marquardts Garten gelegen hatte. Die neue Straße war draufgehauen worden, die alten Bezugspunkte wie Hütten und Büsche verschwunden.
»Hier«, sagte Steffi schließlich entschlossen und zeig te auf eine Gruppe älterer Bäume. Der Garten war frisch umzäunt. Aber die Hütte war alt. Richard blickte desinteressiert auf den allgemeinen Kahlschlag, und Steffi beschwor die Erinnerung.
»Siehst du Schlehenbüsche?«, fragte ich sie.
»Was für Büsche?«
Man konnte von ihrer Generation nicht erwarten, dass sie wusste, was Schlehen sind. Auch ich hätte vielleicht noch Stachelbeeren erkannt, aber Schlehdorn? Meine Hoffnungen richteten sich auf Richard, der immerhin ein Nachkriegskind war.
»Da drüben«, sagte er, »das könnten Schlehen sein.«
Der Zaun war hoch und mit Stacheldraht umwickelt. Das Tor ebenfalls. Man musste verhindern, dass spazieren gehende Rentner, die noch wussten, dass man die glasig blauroten Schlehenbeeren nach dem ersten Frost pflückte, Mundraub begingen. Richards italienisches Schuhwerk war für den schweren Boden nicht gemacht. Außerdem teilte er meine Vorliebe für Ortstermine nicht. Steffi schlotterte auch. Ich war schon bereit abzubrechen. »Aber wir müssen den jetzigen Besitzer ausfindig machen und mit der Polizei herkommen.«
»Wozu?«, fragte Richard.
»Ich wüsste gerne, warum Marquardt Schlehen gepflanzt hat.«
»Meine Mutter hat aus den Beeren Gelee gemacht und aus den weißen Blüten Tee. Er soll zur Blutreinigung gut sein. Grässlich.«
»Ein Naturheilmittel gegen Triebtäter«, bemerkte ich.
Richard kniff die Augen zusammen. Das Tor war von der Art, wie es der Nachbar auch hatte. Der Abstand zwischen Schloss und Pfosten wurde von einem Blech überbrückt. Ein kräftiger Ruck, und der Pfosten wankte, das Tor schwang auf.
»Was mached Sie denn do?« Ein Mann brach mit tatkräftigem Bauch aus dem Gebüsch de§ gegenüberliegenden Gartens. »Das geht fei net. Wer sind Sie überhaupt?«
»Staatsanwalt«, sagte Richard frostig, und unversehens stapften wir zur viert über das Grundstück. Die Schlehenbüsche fristeten ihr Dasein im Lattenmüll hinter der Hütte am Zaun zum Nachbarn. Sie waren mit den Wurzelknollen im Lauf der zwei Jahre deutlich unter das Niveau der Grasnarbe gesackt. Der Kleingärtner nahm mit Blick auf Steffi die Gelegenheit wahr, sich bei der Staatsmacht zu beschweren, dass die Polizei nichts tat, um die Raudis zu stellen, die ihm die Karnickel mit dem Luftgewehr abknallten. »Wenn sie’s wenigschtens esse däded, aber die lassed den Kadaver einfach liege. Aus reiner Freud am Tode.«
»Haben Sie mal einen Spaten?«, fragte ich.
»Derfet Sie des überhaupt?«
»Gefahr im Verzuge«, murmelte Richard, dem schon jetzt schlecht wurde. Der Kleingärtner nahm mir seinen Spaten gleich nach dem Anstich mit der Bemerkung wieder ab, die Jugend könne heutzutage nicht mal mit einem Spaten umgehen, und hob selbst den Busch an und
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