Harte Schule
frage mich«, sagte Richard gemächlich, »was ihr eigentlich alle bei ihm im Esoterik-Kurs wolltet.«
Jöran hüstelte. »Er hat zehn Euro die Stunde gezahlt.«
»Also mir nicht!«, sagte Persephone reichlich entsetzt.
»Was musstet ihr dafür tun?«, erkundigte sich Richard.
»Kommen«, antwortete Jöran.
»Was noch?«
Sie starrten auf die Tischplatte, spielten mit den Bierdeckeln.
»Hat er Filme gedreht?«, fragte ich.
»Nee«, sagte Zampano. »Aber welche gezeigt hat er. Aufklärungsfilme und so.«
»Und die zehn Euro waren dafür, dass ihr es nicht herumerzählt.«
Zampano beugte sich über den Tisch. »Wir haben schon gewusst, dass der Jürgen sich dabei scharfgemacht hat oder so. Aber ich bin da nicht nur hin, weil er mir Geld gegeben hat. Man denkt halt, man sollte schon Bescheid wissen, wie das klargeht mit den Mädchen und so, damit die Freundin nicht sauer ist.«
Die Kinder kicherten. Schlagartig fiel mir meine Klassenkameradin Siggi ein. Wir hatten uns nachmittags in den Hohlstunden im Werkraum getroffen, vier oder fünf Mädchen, und Siggi hatte uns erklärt, wie es aussah, zuerst mit Kreide an der Tafel, dann im Mädchenklo zwischen Schüssel und Bürste: Kitzler, Pipi, Möse, Arschloch. Auch hatte sie gewusst, wie so ein Schwanz in die Mose reinkam, der bei ihrem Bruder lasch herumbaumel te, bei dessen Kumpel aber hart wurde beim gemeinsamen Duschen.
»Den Aufklärungsunterricht in Bio«, erklärte Steffi, »den kannst du doch voll vergessen. Die Ruf trägt immer durchsichtige Blusen ohne BH und föhnt uns zu mit Aids und sexueller Versklavung.«
Heute schien es mir ohnehin besser, wenn die Pädagogen die Klappe hielten. Meine Erdkundelehrerin hatte die Schilderung des Familienlebens von Naturvölkern in ein Horrorszenario weiblichen Martyriums verwandelt. Hockstellung bei der Geburt, Vielweiberei, Ficken in den Anus. So hatte ich mir die Liebe nicht vorgestellt. Immer war sie hochschwanger gewesen, hatte sich den Muttermund zunähen lassen, weil ihr erstes Kind als Fehlgeburt ins Klo gerutscht war, hatte Vulkane, Lava, Gesteinsbrocken, Verpfropfungen an die Tafel gezeichnet. Der nachfolgende Lehrer ahnte nie, worum es eigentlich gegangen war. Wir hatten uns der Faszination der Geisterbahn nicht entziehen können. Mit siebzehn, so erzählte sie uns, war sie vergewaltigt worden. Den Schlüpfer hatte sie danach noch an, es war auch so gegangen. Der Mutter hatte sie nichts erzählt. Erzkatholisch. Wir, ihre Schülerinnen, waren die Ersten, bei denen sie sich entlastete. Als ich Isolde sagte, ich hätte bis zwanzig nicht gewusst, dass ich eine Frau bin, hatte ich gelogen, aber ich hatte es verdrängt gehabt.
Ich bemerkte, dass Richard mich anblickte. Das Gespräch war schon zehn Meter weiter und verlangte einen Abschluss.
Ich sagte: »Weiß eigentlich jemand, wo Marquardt seinen Schrebergarten hatte?«
»Wir waren doch mal da, Pflaumen pflücken«, sagte Steffi. »Vor drei Jahren oder so.«
»Ich nicht«, sagte Jöran.
»Doch, du auch!«
»Steffi«, sagte ich, »du nervst. Kannst du mir den Garten zeigen?«
»Ich muss dann los«, teilte Jöran mit.
Richard warf ihm einen Blick zu, bei dem mir heiß und eifersüchtig wurde. Er zog seine Brieftasche, angeblich um die Getränke der Schüler zu zahlen, eigentlich aber, um Jöran einen Blick auf die fünf roten Scheine zu gewähren.
»Aber ein Stück kann ich noch mitkommen«, konzedierte Jöran lässig.
Richard lächelte ihm zu.
Ich mochte es nicht mit ansehen, stand auf und folgte dem Wirt zur Kasse. Er wischte sich das Kinn.
»Fünfzig Euro bitte«, sagte ich.
»Was isch los?«
»Ich habe den Cognac mit einem Fünfziger bezahlt, erinnern Sie sich? Sie haben mir Informationen versprochen, mir aber Schläger auf den Hals gehetzt. Eigentlich müsste ich Zinsen verlangen.«
»Des isch g’loge.«
Ich langte einfach in die noch offene Kassenlade. Er grabschte mein Handgelenk. Ich stieß ihn gegen die The ke. Aus seinen wässrigen Augen spratzte die alltägliche Mordlust, der nur die abgesägte Schrotflinte fehlte. »He, Sie!«, schrie er. »Ja, Sie! Sie sind doch von der Polizei. Die da klaut mir Geld aus der Kass.«
»Ich bin nicht von der Polizei«, erwiderte Richard kühl. »Ich kann Ihnen nur empfehlen, erstatten Sie Anzeige gegen Unbekannt.«
Die Schüler lachten.
In lockerer Formation machten wir uns auf den Weg die Nagoldstraße entlang zu den Schrebergärten am Schnarrenberg. Im Augenwinkel sah ich, wie Richard in trautem
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