Harte Schule
Name schwelte da genauso wie die Namen Sallys und Hedes, der Sappho von Stuttgart, der eines Bereiters im Gestüt meines Schwiegervaters und Isoldes. Dazu all die Toten: Todt Gallion am Birnbaum verendet, die Chefin der Amazone, Selbstmord mit Fragezeichen, eine Leiche im Eckensee, ein toter Bodybuilder, eine Schlägerei am Funkhaus mit einem Schwerverletzten. Otter zu vermerken, hatte Richard wohl nur noch keine Zeit gehabt. Niemals hätte ich selbst mein Leben so lückenlos dokumentieren können. Wie hatte Richard gesagt: Eine Ermittlungsakte mit dunklen Punkten war vor Gericht keinen Pfifferling wert. Das hier war so finster, dass man mich sofort hätte einlochen müssen. Was wollte ein Mann, der ein solches Dossier über seine Geliebte anlegte? Ich spielte mit dem Feuerzeug. Ich öffnete das Fenster und blickte auf die Straße hinab. Freund oder Feind?
Vor allem musste ich schleunigst diesen Schreibtisch wieder verschließen.
Frau Kallweit war noch nicht mit den Stücken ihres Pausenapfels fertig, da war der Haftbefehl zur Stelle und mir zur Kenntnis gebracht. Richard bugsierte mich aus der Staatsanwaltschaft hinaus in einen Hinterhof, von dem aus Stufen in ein Nachbargebäude führten. In dem lang gestreckten Gang ging es zu wie auf dem Bahnhof. Massen von Männern, teilweise in Handschellen. Plötzlich schüttelte mir ein Anwalt die Hand und vergewisserte sich, dass ich keinerlei Schuldeingeständnis gemacht hatte.
Ich erwachte aus meiner Benommenheit, als mir auffiel, dass ich Ermittlungsrichter 3, der für die Buchstaben N-S zuständig war, kannte. Timotheus Pfrommer hatte den zweiten Dan im Judo auf derselben Prüfungsveranstaltung erworben, auf dem ich am ersten Dan gescheitert war.
Und offenbar ging es jetzt nicht nur um die Eröffnung des vorhin von meinem Judokumpel Timotheus unterzeichneten Haftbefehls und eine Rechtsmittelbelehrung, denn Richard erklärte sich, ehe mein Anwalt den Mund aufgemacht hatte, damit einverstanden, sogleich auch einen Haftprüfungstermin vorzunehmen.
Tim schaute in die Unterlagen und nuschelte. Er würde das Verfahren nicht dadurch komplizieren, dass er unsere Bekanntschaft herausstrich. Mein Anwalt gab sich völlig unvorbereitet meiner Verteidigung hin, während Richard zu meiner Rechten den Advocatus Diaboli machte. Er beschwor den dringenden Tatverdacht im Zusammenhang mit der Explosion von Otters Haus und den Schüssen auf seine Person. Mein Verteidiger erwiderte, der Anfangsverdacht rechtfertige keine Untersuchungshaft, im Übrigen habe seine Mandantin einen festen Wohnsitz und eine geregelte Arbeit. Ein Schuldspruch sei zudem nicht zu erwarten. Richard hielt dagegen, dass nach Paragraph 112 Absatz 3 StGB die Flucht- oder Verdunklungsgefahr den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden könne.
Zwischendurch klingelte immer wieder das Telefon. Immer wieder kamen Leute herein, zeichnete Tim irgendetwas ab. Nie brachte jemand seinen Gedanken ohne Unterbrechung zu Ende.
Ich protestierte, dass meine Inhaftierung nach einer reinen Verdachtsstrafe aussehe, wenn der Staatsanwalt kein stärkeres Argument habe als die bloßen Umstände, die eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr nahelegten, und dies sei gegen die Verfassung. Timotheus Pfrommer unterdrückte ein Schmunzeln und murmelte, ich solle die Verfassung aus dem Spiel lassen. Ich wies darauf hin, dass ich aus beruflichen Gründen an der Aufklärung der Vorgänge um Marquardt interessiert sei und dass ich im Übrigen versucht hätte, die Otters rechtzeitig aus dem Haus zu holen.
Richard äußerte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Beschuldigten. Der Anwalt protestierte. Timotheus Pfrommer befand nach Augenschein, dass die zur Inhaftierung vorgeführte Person einen ganz vernünftigen Eindruck mache, und hob den Haftbefehl auf. »Lisa Nerz, Sie sind frei.«
Mein Anwalt gratulierte sich, indem er mir die Hand schüttelte. Wir rammelten durch die Männermassen im Gang. Richard blickte ungemein arrogant drein, bis der Anwalt verschwunden war. An der Schwelle zur Freiheit nahm er mich am Ellbogen und sagte: »Hör zu, Lisa, du solltest jetzt …«
»Meinen Schlüssel bitte«, unterbrach ich ihn.
»Was?«
»Du hast noch meinen Hausschlüssel in der Tasche. Darf ich bitten? Danke.«
23
Isolde Ringolf saß in meinem Kabuff auf meinem Stuhl an meinem Tisch und entschuldigte sich. »Wir haben gedacht, du kommst heute nicht mehr. Da habe ich nur mal kurz …«
»Schon gut.«
»Wir sind ziemlich im Stress wegen
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