Harte Schule
Bollach. Das Ministerium hat noch keine Presseerklärung herausgegeben. Absolutes Schweigen … Ist was?«
Isolde blickte mich an, so wie man jemanden ansieht, dessen Befindlichkeit einen wirklich interessiert. Ich ge stand ihr meinen Zustand der Verwirrung nach dem Termin beim Ermittlungsrichter.
»Oh«, sagte sie. »Ich dachte, Weber sei dein … Entschuldigung.«
»So kann man sich täuschen.«
»Tut mir leid.«
»Eifersucht lebt von Irrtümern«, sagte ich.
»Wie bitte?«
»Entschuldigung. Ich habe nur laut gedacht, und das nicht einmal besonders intelligent. Aber Intelligenz war noch nie das Pfund, mit dem ich wuchern konnte.«
Isolde grinste.
»Du kannst mir helfen«, sagte ich. »Du sammelst doch Telefonnummern. Ich brauche die Faxnummer vom Kultusminister, keine Vorzimmernummer, sondern eine direkte.«
»So eine Faxnummer gibt es nicht, aber …« Isolde sah stolz aus. »… aber eine E-Mail-Adresse hätte ich, Bollachs direkte. Ich habe ihm schon gemailt, aber er antwortet nicht.«
»Was hast du ihm denn angeboten?«
Isolde blinzelte.
»Dann bieten wir ihm jetzt was an. Er und ich, wir haben denselben Feind, nämlich Weber, und deshalb ha be ich eine wichtige Information für ihn.«
»Aber …«
Das Aber gefiel mir. Sie passte wirklich gut zu Ri chard: immer bedenklich und steif, wenn es darum ging zu tricksen. Wie würde Richard sagen: List und Verräterei sind nur Folgen von mangelnder Klugheit. Ich musste ihn aus meinem Gedächtnis streichen.
»Wir machen einen unkollegialen Alleingang«, erklär te ich. »Wenn es schiefgeht, nehme ich es auf meine Kappe. Wenn es gutgeht, kriegst du die Lorbeeren.«
»Bollach wird sowieso nicht reagieren.«
»Na fein.«
Gackernd wie zwei Schülerinnen beim Liebesbrief machten wir uns daran, einen Text aufzusetzen. »Zu vie le Adjektive«, meinte Isolde. »Wichtige Informationen, das klingt nach Hollywood. Informationen reicht.« Und da mit zum konspirativen Treffpunkt. Da hat man nun eine gan ze Stadt zur Verfügung, aber was ist nahe gelegen und einsam?
»Warum nicht ein Friedhof«, schlug Isolde vor.
»Wunderbar. Da können sie mich anschließend gleich verscharren.«
»Du, hör mal, wenn es gefährlich ist …« Sie wurde trotz ihrer Jugend auf einmal mütterlich. »Ich will nicht, dass dir was passiert. Das ist es nicht wert. Sollten wir nicht wenigstens Weber informieren?«
»Untersteh dich!«
»Dann komme ich mit.«
Ich nahm ihre Hand und küsste sie. »Lass mal. Ich brauche hier jemanden, der das Telefon hütet. Außerdem, Bollach kommt sowieso nicht, wie du selber sagst.«
Sie zog ihre Hand weg. So dann auch wieder nicht, gell.
Wir verabredeten, dass ich um neun in der Redaktion anrufen würde. Ich beauftragte meine Werkstatt, Brontë von der Zuckerbergstraße zu holen, nahm unseren Briefentwurf, ließ mich von einem Taxi in die Stadt bringen, mailte von einem Internetcafé aus und setzte mich dann in die Linie 14. Es war dunkel, als die Bahn aus dem Tunnel in die Neckarstraße aufstieg. Die Staatsanwaltschaft war erleuchtet, nur Richards Fenster nicht. Vor meinem Haus hingen keine verdächtigen Personen herum. Aber wenn jemand Wache hielt, tat er das ohnehin besser auf dem Hochbahnsteig der Straßenbahnhaltestel le. Dort stand auch tatsächlich einer am Geländer, mit dem Rücken zur einfahrenden Bahn, und las die Zeitung.
Ich blieb sitzen und fuhr weiter nach Münster. Die Tundra lag verlassen. Bei Steffi Bach machte niemand auf. Ich irrte durch den lichtlosen Ort und klingelte schließlich bei den Frechs. Die Mutter hatte gerade zum Abendbrot gedeckt. Mir fiel ein, dass ich nicht einmal gefrühstückt hatte. Fickfehler zeigte Unbehagen bei der Idee, dass ich an der Abendbrotszeremonie teilnehmen würde. Der Vater kaute stumm. Die Mutter trachtete mir, während sie das Käsemesser reichte, die Zustimmung zu entlocken, dass ihr Sohn immer noch Maler werden konnte, wenn er ein Architekturstudium absolviert hatte. »Das ist doch auch etwas Kreatives.«
»Ich bin nicht kreativ«, rotzte Fickfehler.
Ich geriet in einen Solidarisierungskonflikt. Die Mutter wollte den drohenden Schulabgang ihres Sohnes unbedingt jetzt bei Wurst und Käse abwenden, weil sie von mir als Journalistin Schützenhilfe erwartete. Man kann nicht den Eltern recht geben, ohne dem Kind in den Rücken zu fallen. Außerdem, wie sollte ich fürs Abitur eine Lanze brechen, wenn ich selbst keines hatte und trotzdem was geworden war? Andererseits durfte der Junge von mir
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