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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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als Erwachsener ein Mindestmaß an konventioneller Besinnung erwarten. Anbiederei an jugendliche Lebensträume ist Verrat.
    »Ihm steht ja immer noch der zweite Bildungsweg offen«, sagte ich.
    »Eher erschieße ich mich«, sagte Fickfehler.
    »Aber, Mark. Wir wollen doch nur dein Bestes.«
    »Seien Sie ehrlich«, sagte ich, »Sie wollen ihm vor allem nichts schenken. Sie wollen später von Ihrem Sohn dem Architekten sprechen und Bilder von den Enkeln herumzeigen.«
    Der Vater hob die Augen. »Was wollen Sie eigentlich von unserem Jungen?«
    Ich ließ das Käsemesser fallen.
    »Aber, Heinrich!«, sagte die Mutter.
    »Wir kennen doch diese Person, mit der unser Sohn herumzieht, gar nicht. Man liest wahrlich genug!«
    Ich stand auf.
    »Entschuldigen Sie«, sagte die Mutter in der Tür. »Mein Mann hat Magengeschwüre.«
    Und wieder stand ich allein auf der Straße. Ab siebzehn durchkreuzt der Tod die Zukunftsvisionen. Mark wollte natürlich nicht wie sein Vater an Magenkrebs sterben. Er hatte mich eingeholt, als ich unten an der Ecke war. Zuerst klingelten wir Zampano aus seiner kinderreichen Familie in einer grün gestrichenen Reihensiedlung mit Wäscheleinen neben den Sandkästen. Der Oiskin wusste, wo Jöran wohnte. Jöran war, wie mir schien, ziemlich zugepellt, aber durchaus imstande, uns zu erkennen und sich senkrecht zu halten. Er erklärte, Steffi sei bei Birte. Sie hätten die neue CD von OutKast. Wir begaben uns in die Austraße zum Reifenhändler. Eine Dame in Gold und Blond öffnete. Der Haushalt war mit allem ausgestattet, was teuer und hässlich war. Im Mädchenzimmer Plakate von Christina Aguilera und Ashanti an den Wänden. Birtes Fernseher lief. Die Mädchen wollten King of Queens gucken.
    Ich erläuterte allen mein Vorhaben.
    »Der kommt nicht«, bemerkte Fickfehler nüchtern.
    »Die haben total die Macht«, ergänzte Jöran.
    »Und was soll das überhaupt bringen?«, erkundigte sich Zampano.
    »Feiglinge«, sagte Steffi und sprang auf. »Ich komm mit.«
    »Ich auch«, sagte Birte.
    Als wir die Wohnung verlassen wollten, schritt Birtes Mutter ein und sprach ein Verbot aus. Birte stampfte mit dem Fuß auf. Es half nichts. Sie habe ihr schon hundertmal gesagt, sagte die Mutter, sie solle sich nicht mit denen auf der Straße herumtreiben. Ich beglückwünschte die Dame zu ihrem Verstand. Wenn Kinder anfangen, mit Älteren herumzuziehen, endet das fast immer auf der Polizei.
    Wir reisten ohne Birte mit der Straßenbahn über den Hauptbahnhof Richtung Pragsattel, Steffi, Fickfehler, Jöran, Zampano und ich.
    Der Pragfriedhof lag als unerleuchtete Aussparung zwischen Aus- und Einfallstraßen. Auf dem Parkplatz an der Heilbronner Straße stand kein einziges Auto. Die Blumenläden waren verdunkelt. Eine Schranke versperr te den Fahrweg in den Friedhof. An der Pforte zur Finsternis griffen sich die Kinder unter die Jacken nach den Waffen.
    »Da kann ich nicht rein!«, sagte Steffi. Die anderen verhielten sofort. Auf einmal standen sie mir mit steifen Gliedern gegenüber. Das Weiße blitzte in den Augen.
    »Angst?«, spottete ich.
    Die Kinder mauerten, drucksten, konnten es kaum in Worte fassen, krampften reichlich uncool. Da war etwas, das nur langsam und verschämt Gestalt annahm: »Zombies.«
    »Und ich glaube an den Weihnachtsmann«, sagte ich.
    »Das ist was anderes.«
    Es war nicht zum Lachen. Sie hatten alle schon Zombies gesehen, in langen Nächten vor der Videokiste, faulige Gestalten, die aus Gräbern stiegen und sich auf kreischende Menschlein warfen, um ihnen das Herz aus dem zuckenden Leib zu reißen. Wir Erwachsenen rationalisieren die Angst vor Friedhöfen nur anders. Als ob sich da wirklich einer drei Jahre lang auf die Lauer legen würde, um uns am Krematorium unserer Geldbörse zu berauben. Da war es am Hauptbahnhof gefährlicher.
    »Also gut«, sagte ich. »Ihr wartet hier. Wenn ich zurückkomme, dann ist es den Zombies heute zu kalt.«
    Die vier blieben zusammengedrängt an der Schranke zurück. Zugegeben, eine Straße mitten durch Friedhofsschwärze hat ihren eigenen Charme. Die großen kahlen Bäume rückten zusammen. Im Laub wühlten Mäuse. Ein schwarzes Loch inmitten der Stadt. Der Verkehrslärm blieb draußen. Es roch nach Moder. Ein Engel flehte am Jugendstil-Tor zum Krematorium. Der Weg zweigte unter die Gräber. Ich war allein und abgeschnitten von den Lebenden und wachsam wie eine Ratte.
    Richtige Angst hätte mir vieles erspart.
    Den Parkplatz am neubarocken Jugendstil-Kuppelbau

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