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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Schwester gerettet, Sie Brudermörder!«
    Bollachs Gesicht rutschte auf den Kehlkopf. Ich erwartete einen neuen Schlag, aber er kam nicht.
    »Mord?«, knurrte er. »Das werfen Sie mir nicht vor. Ich bin kein Mörder. Was den Anschlag auf meinen Schwager betrifft, die Verantwortlichen werden zur Verantwortung gezogen, so wahr ich Bollach heiße. Und wenn ich dem Polizeipräsidenten jeden Tag eigenhändig Beine machen muss. Das wird gesühnt, mit der vollen Härte des Gesetzes.«
    »Da drüben«, sagte ich, »stehen die Täter.«
    Zabel und Juncker turtelten am Heck des Streifenwagens.
    »Sie haben die falschen Freunde bei der Polizei«, fuhr ich fort. »Am Ende kommen Sie auch noch dran, aber erst einmal ich, wenn Sie mir nicht helfen.«
    Bollachs Blick weitete sich plötzlich. Ich schaute mich um.
    Hinter Zabel und Juncker aus der Tiefe der dunklen Straße näherten sich schmal und schwankend vier Gestalten.
    Bollach wich zurück, drehte auf dem Absatz um und sprang in sein Auto. Der Motor röhrte, die Scheinwerfer flammten auf, die Reifen qualmten, der Wagen krachte mit dem Rücklicht in die Betontrenner zwischen den Sand- und Kieshaufen und raste, während Zabel oder Juncker mich am Arm packte und der andere mir die Pistole an die Schläfe hielt, an uns vorbei auf die Jugendlichen zu, die mit aufleuchtenden bunten Jacken auseinandersprangen.
    Im Bruchteil einer Sekunde sah ich das Szenario – ich tot, die Kinder niedergeknallt – und schrie: »Haut ab! Lauft! Die schießen!«
    Im nächsten Moment hing ich im Polizeiwagen auf der Rückbank, den Kopf auf der Fußmatte, und die Reifen pfiffen. Die Beschleunigung riss mich in die Senkrechte und schleuderte mich gegen die Lehne. Die Handschellen bohrten sich mir in die Lenden und quetschten mir die Gelenke ab. Zampanos Glatze geisterte am Seitenfenster entlang. Fäuste donnerten gegen das Blech. Dann quietschten wir hinaus aus der Sackgasse.

24
     
    Obwohl das Spiel eigentlich aus war, war es noch lange nicht zu Ende. Wie hatte Sally mir einmal erklärt? Wenn eine Frau ein Kind kriegt, macht sie drei völlig unvorhersehbare Erfahrungen: Der Geburtsvorgang ist von unvorstellbarer Gewalt, sie verliert, egal, was sie sich vornahm, die Kontrolle und schreit, und hinterher ist alles vergessen. Verschiedentlich hatte ich mir ausgemalt, was ich tun würde, wenn ich wusste, dass ich nicht mehr lebend davonkommen würde: mit dem Leben abschließen, vor allem kein Wimmern und Betteln. Aber es ist ganz anders. Etwa drei Minuten lang aktiviert das Adrenalin im Blut ungeahnte Kräfte, die man zum Kampf oder zur Flucht nutzen kann. Dann kommt der innere Zusammenbruch. Eine unausdenkbare Angst pellte mir das Fleisch von den Knochen und erzeugte eine kindliche Sehnsucht nach Liebe, die man nur dem Peiniger zuwenden kann.
    Ich war dankbar, dass ich noch lebte, und hegte vertrauensselige Hoffnung, dass der durch die Stadtnacht blaulichternde Wagen mit Zabel/Juncker mich in die Welt zurückwarf. Ich beharrte auf der Hoffnung, als wir durchs stacheldrahtumwickelte Rolltor in den Innenhof der Landespolizeidirektion am Pragsattel einfuhren. Lebten wir nicht in einem Rechtsstaat, in dem Menschen nicht einfach verschwanden? Aber nachdem wir den zarten Gurkengeruch der dunklen Kantine durchquert hatten und mit dem Fahrstuhl in den Keller ratterten, zerfiel die bunte Welt, und ich glaubte an Zombies. Es lag nicht mehr außerhalb jeder Glaubhaftigkeit, dass Zabel oder Juncker, der mich in einem fußkalten fensterlosen Raum auf einen Stuhl gestoßen hatte und jetzt die Pistole auf mich richtete, abdrücken würde.
    »Zieh dich aus!«
    »Wozu denn?«
    Er schlug mich sofort vom Stuhl und drückte mir das Gesicht in den Steinboden, während der andere die Eisen aufschloss. Hätten sie mir wenigstens die Jacke vom Leib gerissen und bitte auch den Pullover und das T-Shirt, aber genau das sollte ich selber besorgen, eigenhändig und freiwillig aus nackter Angst vor Schlägen und sinnlosen Schmerzen. Mein Gott, was hatten sie davon? Sie waren doch schwul. Aber das nützte mir nichts, denn sie weideten sich an Blut und Wasser.
    Ich belog mich, dass ich durch Entgegenkommen Zeit gewinnen wollte. Unter dem Baumwollgestrick bedeckte mich immer noch das T-Shirt. Zabel/Juncker forderten die Hose. Mein Hirn sagte Nein, aber mein feiger Körper bückte sich, um erst mal die Schnürsenkel zu lösen. Und wieder diese scheiß Dankbarkeit, dass sie mich unbehelligt an den Socken zupfen ließen. Scheinbare

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