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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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der Großen Depression, erzählte er einem Weißen sein Leben, einem Dichter aus Bancroft, Nebraska, und der hatte es aufgeschrieben. In seinem Volk war Black Elk ein bekannter heiliger Mann. Auch mit ihm war Mitch wohl verwandt, denn sie beide waren blutsverwandt mit Crazy Horse. Black Elk war ein Cousin des Häuptlings gewesen. Und noch etwas hatten sie gemein, die Wunde: Wounded Knee. Massaker an Männern, Frauen und Kindern hatte es immer wieder gegeben, begangen von beiden Seiten. Wounded Knee war mehr als das – der letzte Aufruhr, die letzte, die tödliche Wunde. Die Tragödie, die das Jahrhundert der Indianerkriege beendete. Nach Wounded Knee war der Widerstand gebrochen, ließ auch der letzte Krieger die Waffe sinken; die Hoffnung, den Lauf der Dinge doch noch wenden, den Untergang der indianischen Welt abwenden zu können, war endgültig verloren.
    Mitch hütete die Herden seines Bosses, saß im «Wagon Wheel», lag wach und sah fern, und ganz selten zuckte die verlorene alte Sache in ihm auf wie Wetterleuchten in der Nacht. Als Black Elk 1950 starb, mußte er immer noch erfüllt gewesen sein von alldem. Sein langes Leben umspannte nahezu ein Jahrhundert. Als junger Mann hatte er noch die Büffel ziehen sehen und die harte, freie Lebensweise der Plainsstämme geteilt, die ihnen nachzogen – in seinen letzten Jahren fuhren die ersten Beatniks kreuz und quer durch Amerika, Jack Kerouac auf dem Beifahrersitz, der Herumtreiber NealCassady am Steuer, möglich, daß sie auch durch die Badlands kamen.
    Black Elk hatte alles gesehen und alle gekannt, alles zwischen dem großen Sieg der Sioux über General Custer am Little Bighorn und dem blutigen Wintertag von Wounded Knee. «Am Abend, bevor es geschah, ging ich nach Pine Ridge und hörte von alldem. Als ich dort war, rückten Soldaten aus. Ich sah sie aufbrechen und fühlte, etwas Schreckliches würde geschehen. In dieser Nacht schlief ich kaum. Ich lief umher, fast die ganze Nacht. Am Morgen ging ich hinaus, meine Pferde zu versorgen, da hörte ich Schüsse von Osten her, und so, wie es klang, wußte ich, es war Kanonenfeuer. Es ging mir durch Mark und Bein, und ich fühlte, etwas Schreckliches geschah.» So begann Black Elks Erzählung davon.
    Es herrschte tiefer Winter, die Not war groß, die Sioux hungerten, Kinder starben, die Great Sioux Reservation war zerschlagen, aufgelöst in lauter kleine Reservate um die Indianeragenturen herum. Die Landnahme schritt unerbittlich voran. Alle Aufstände der letzten Jahre, alle Versuche, dem unbegreiflich übermächtigen Rad in die Speichen zu fallen, waren gescheitert – dem Rad des weißen Mannes, das sie nun schon ein ganzes Jahrhundert lang vor sich hertrieb, von Vertrag zu Vertrag, Vertragsbruch zu Vertragsbruch, Reservat zu Reservat, und die Welt, die sie kannten, zermalmte.
    Crazy Horse war vor dreizehn Jahren in Fort Robinson von einem Soldaten mit dem Bajonett erstochen worden. Jetzt kam die Nachricht: Sitting Bull tot, der andere Große, in Gefangenschaft erschossen, drübenim Standing-Rock-Reservat, am Ufer des Missouri, wo heute seine klobige Büste steht und die Casinos blühen. Alles schien verloren, der Untergang unaufhaltsam.
    Da breitete sich von Südwesten her der «Ghost Dance» unter den Stämmen aus wie ein Präriefeuer. Tausende tanzten den Geistertanz schon, tanzten den Messias herbei, er würde wiederkommen als roter Mann, die lebenden mit den toten Indianern vereinen und sie alle auf einer weißen Wolke hinwegführen in ein neues Land, in ihr altes herrliches Leben, der Bison würde wieder durchs hohe Gras ziehen, erzittern würde die freie Prärie unter Zehntausenden Hufen, nie mehr würden sie darben und Hunger leiden. Die Weißen aber würden auf der alten Erde zurückbleiben, diese weißlichen Wesen, welche die ersten Sioux, die ihrer ansichtig wurden,
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genannt hatten – Geister.
    Black Elk war skeptisch gegen die neue Lehre. Als Junge von neun Jahren war ihm etwas zuteil geworden, das er Große Vision nannte, eine Geistreise durch den indianischen Kosmos. Von ihr hatte er heilerische, aber auch kriegerische Gaben mitgebracht, Fähigkeiten, die ihn belasteten und niederdrückten, bis er sie offenbarte. Von da an war er ein gesuchter heiliger Mann und Heiler bei den Oglala-Sioux. Männern wie ihm traute man eine besondere Verbindung zum Göttlichen zu, die es ihnen ermöglichten, vorauszusagen, ob eine Jagd gelänge oder ein Kriegszug. Hatte nicht Sitting Bull vor seinem großen

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