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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Street döste ein roter Löschwasserhydrant in der Sonne, die Läden für Sioux-Kunst an der Sixth Street hielten ihre Lider geschlossen, die Jalousien. Aus «Billy’s Café» rieselten Klaviertöne auf den leeren Bürgersteig
.
Selten glitt ein Auto vorbei. Im Kino lief den ganzen Tag über der neue Film mit Sandra Bullock. «Thanks to our veterans!» hatte die Tankstelle an der Omaha Street, «Billy’s Blend. Carl’s Car Care Centre», in holprig gereihten Buchstaben auf ihre Werbetafel geschrieben
.
Ich dachte über den amerikanischen Hang zum Stabreim nach. Still, so still war dieser cheesecakesüße Sonntag in der kleinen Stadt am Fuße der Black Hills.
    Am nächsten Morgen lief ich hinaus zur Interstatenach Sioux Falls. Ein Mann hielt, und ich hätte nicht das Autokennzeichen lesen müssen, um zu wissen, daß er aus dem tiefen Süden war. Seine Rede kreiste um einen einzigen Laut, und er redete viel; nicht mit mir zu meinem Glück, die Freude, ihm zuzuhören, wurde nicht durch allzuviel Konversation getrübt. Er telefonierte. Das tat er in immer kürzeren Abständen, je näher er seinem geliebten Louisiana kam, was erst einmal eine Illusion war – wir würden den ganzen Tag durch Süddakota fahren, auf der Interstate ostwärts fürs erste, nach Louisiana war es noch weit.
    Der Laut, der meinen neuen Bekannten als Prachtexemplar eines Südstaatlers verriet, war das unablässig gejaulte, gejauchzte, gejodelte «au». Anlaß, in diesen Laut auszubrechen, bot ihm die amerikanische Sprache in Fülle, enthält sie doch zahllose Wörter mit einem «ow» wie in
howl
oder einem «ou» wie in
sound.
Aber auch jedes schlichte «o», egal ob offen oder geschlossen, kaute und dehnte der Mann aus Louisiana so lange weich, bis daraus ein louisianisches «au» wurde.
Morning
klang bei ihm wie
mourning
,
home
wie
howm.
    Die Interstate nach Sioux Falls und weiter nach Sioux City ist die Lebensader Süddakotas. Das Land blieb zwar so leer, wie ich es kennengelernt hatte, aber jede Ausfahrt bot feil, was für Geld zu haben ist. Essen und Trinken, Rührung und Seelenheil. Ausfahrt 101 pries den Besuch eines Museums an: «Die Geschichte von Wounded Knee wird dein Herz anrühren.» Ich aber hatte Musik aus dem Süden in der Limousine, ich hörte zu, wie der Mann aus Louisiana seine Sehnsucht ins Telefon sang:
    I’ve been ridin’ about sixteen hours,
    Ridin’ through wide open country.
    How about workin’ a lil’?
    Gotta get some dollars in my wallet.
    Got a lot o’work to be done down in Louisiana.
    Try to get me a fourty-five, boy.
    Ya know that girl next door?
    You’re damn lucky.
    You’re damn wrong, man, damn wrong.
    I’ll come ’round in thirteen hours.
    Er schnaufte. Seinen dicken Bauch trug er, wenn er ging, wie eine Pauke vor sich her. Lachte er, hüpfte die Pauke, er rieb und streichelte sie, wenn er sprach, und sei es ins Telefon. Das Gastspiel in Rapid City lag hinter ihm, nun fuhr er die Pauke heim. In der manchmal rohen, ungeschlachten, manchmal unfaßbar feinfühligen Sprache meiner Kindheit gab es für solche wie ihn ein herrliches Wort: Unleid. Das war er, ein Unleid, das traf es genau. Er keuchte und jaulte und schob seinen dicken Bauch durch die Welt und genierte sich nicht die Bohne, ein solch keuchendes, jaulendes Unleid zu sein.
    Zwischen zwei Telefonaten nach Louisiana fand er Zeit, mir zuzurufen, daß er in Rapid City seinen Sohn besucht habe. Er sei Vater von elf Kindern. «Elf Kinder! Elf!» Und dieser eine Bengel sei unbegreiflicherweise nach Rapid City gezogen, weit fort von Louisiana, und, schlimmer noch, ausgerechnet er sei der einzige, der ihm Enkel geschenkt habe. Diesen Sohn habe er ausgiebig besucht, aber es sei nicht gutgegangen, nur Streit und Krach. Jetzt habe er genug davon, jetzt trete er denRückzug nach Louisiana an. Ein tiefer Schnaufer entlud sich seiner Brust: «He’s such a disrespectful person!» So ein mißratener, so ein Lausejunge von einem Sohn, der nicht wisse, was sich dem Vater gegenüber gehöre. Er fiel wieder in sein Lied, es spendete ihm Trost.
    I make tenthousand dollars a month.
    Gotta lot of work to do down there.
    Gotta go down, gotta go home.
    Down to Louisiana.
    Home to Louisiana.
    Seine Telefonate wurden drängender, lauter, und die Botschaften an der Interstate wurden es auch, als lade die Atmosphäre sich auf, je näher wir Sioux Falls kamen, dem großen Kreuz, an dem die Weststraße und die Straße nach dem Süden aufeinandertreffen. «Ye must be born

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