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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Dreißig Meilen: Zwölf Stunden, und wahrscheinlich schaffst du es heutenicht mehr. Ich hatte es vorher gewußt, aber jetzt hatte ich’s vor mir, jeden Morgen, nach jeder Rast, bei jedem Blick auf die zerfaltete, rissige Karte.
    So selten überholte mich ein Auto, daß ich mitzählen konnte. Es war das dritte, das hielt, heraus scholl der unnachahmlich lakonische Ruf «Need a ride?» Nie machte ein Fahrer Aufhebens um die Barmherzigkeit, die er dem Fremden erwies. Er stellte wenige Fragen, die Abfolge war meist gleich. «Where you headin’?» lautete die zweite, wohin des Weges? Nicht wie daheim: Woher? Die Woher-Frage wurde zuletzt gestellt, erst nachdem der Fremde eine Probe seines Akzents geliefert hatte, hieß es «So, where are you from?», unmittelbar gefolgt von einem Tip, denn ihre Spielernatur drängte alle diese freundlichen Amerikaner, ein Los in der Nationalitätenlotterie zu ziehen, und die meisten tippten richtig. «Germany?» Ich sagte dann spaßeshalber: «How did you know?»
    Hierauf eröffnete mir jeder zweite, aus Deutschland stamme letzten Endes auch er – der Vater sei von dort gekommen, der Großvater oder der Urgroßvater. Und es klang, als erinnere er sich bei dieser deutschen Zufallsbegegnung auf der Straße nach langer Zeit wieder einmal daran, selbst Sohn, Enkel oder Urenkel von Deutschen zu sein – leicht verwundert.
    Der Fahrer nahm mich bis zur nächsten Kreuzung mit, dort bog er nach Norden ab, ich ging nach Süden, aber er stellte sich vor auf dem kurzen Weg: Chris, der Postmeister. Er riet mir, wenn ich nach Lyons käme, nach Chris Sailor zu fragen, der vermiete dort ein Zimmer für die Nacht, es sei meine einzige Chance in Lyons.«Am besten», sagte der Postmeister, «ich rufe Chris Sailor an und bitte ihn, sich ins Auto zu setzen und Ihnen entgegenzufahren, damit Sie nicht in die Nacht hineinlaufen müssen.» Ich dankte ihm, ging los und hielt bald eine Stunde lang Ausschau nach einem Auto auf Suchfahrt, es tauchte aber keines auf. Ich vergaß die Sache und lief weiter nach Süden, bis die Maiskörner in der einsetzenden Dämmerung zu leuchten begannen, weil sie die einzige Farbe waren im grauen, windigen Land. Ich mußte nicht bis in die Nacht hineinlaufen, ich war doch in Nebraska.
    Neben mir hielt ein schwerer weißer Pickup, über und über lehmbespritzt. Der Mann, der so schlammige Wege nahm, daß der Dreck über seinem Allradauto zusammenschlug, war offenbar Farmer. Als er die Beifahrertür aufstieß, sah ich, daß der Wagen drinnen so erdig war wie draußen, der Boden der Fahrerkabine war ein Stück Acker, auf der Rückbank lagen Maschinenteile und Kanister herum. Mochte der Pickup eines Städters die gleiche schwerachsige Statur haben, die gleichen wuchtigen Doppelräder hinten und dieselbe Marke am Heck wie der eines Farmers – es war etwas anderes. Hier, auf dem Land, war immer irgendetwas zur Reparatur zu schaffen, aufzubocken, zu bringen, zu holen. Der Pickup des Farmers war sein Präriepanzer, sein Abschleppwagen, seine Zugmaschine für ganze Bäume und Lebendvieh, war Hochsitz, Munitionskiste und Waffenkammer. Und war die Feldarbeit getan oder die Jagd erfolgreich, dann verwandelte sich der dreckige, blutige Farmer-Pickup in die Feld- oder Jagdhütte, den richtigen Ort also, um eine Dose Bud Light aufzureißen, dieLasche auf den Boden zu werfen und erst mal eine zu rauchen.
    Am Steuer saß ein leutseliger Kerl in blauer Latzhose, die einem vertrauenerweckenden Bauch Raum bot, in den ausgeleierten Taschen allerhand Dinge, die ein Farmer braucht. Bohnen und Mais baue man hier an, sagte er mit breiter Geste über die nicht mehr winterlich toten, noch nicht frühlingsgrünen Felder. «Um diese Jahreszeit ist auf der Farm wenig zu tun, da hab ich den alten Motorblock aufgeladen.» Er deutete über die Schulter. «Kenne da einen, der so was reparieren kann, der soll ihn sich mal ansehen.» Aber eigentlich gehe es nicht um den Motorblock, eigentlich fahre er nur so herum. «Meine Frau ist froh, wenn sie mich ein paar Stunden los ist. Wo geht’s denn hin? Fahr gern einen Umweg, hab ja Zeit.»
    Ich wußte nicht recht, ich hatte lange laufen wollen; daß die Frage «Need a ride?» nun im Halbstundentakt kam, sprach für die Gutherzigkeit der Leute von Nebraska, aber es war auch ungewohnt. Ich wollte sein Angebot höflich ablehnen, doch etwas in seiner Stimme, vielleicht auch in mir, drängte mich, es anzunehmen. Gleich erfuhr ich, was es war. Als habe der Berglöwe an

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