Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
Vom Netzwerk:
liegt immer noch danieder wie platt gebügelt. Wir hatten Schnee, fast einen Meter hoch.»
    Dann fuhr sie mich zur Landstraße und wünschte mir Glück, und ich wünschte mir unterwegs ab und zu eine wie sie. Aber ich machte mir auch meine Gedanken über den amerikanischen Mann. Ich ahnte nun, wie es um ihn stand, der in diese verwirrende, unbegreiflich perfekte Welt aus rosa Mädchenduft und heroinischer Härte geworfen war. Ich hatte Muße, darüber nachzudenken, statt mich besinnungslos vorwärts zu kämpfen, mein Feind, der Wind, ließ ab von mir für diesen einen Tag.
     
    Wieder war die Straße mit Maiskörnern bestreut, wieder fragte ich mich, wenn ich an Farmen vorüberkam, wo die Menschen steckten, nie sah ich eine lebende Seele, nur Zugvögel, sie erschienen im Süden und verschwanden nordwärts im grauen Himmel. Ich ging vier, fünf Stunden, nichts änderte sich. Mais, ferne Vogelschreie, Land, Land, Land. Dann kam der Wind wieder, von Osten jetzt.
    Bei dem kleinen Ort Union war ich in westlicher Richtung abgebogen, auf die Stadt Lincoln zu, dort würde ich auf die 77 stoßen. Den Ostwind im Rücken, kam ich schneller voran als in den Tagen zuvor, aber wenn ich mich nach einem windgeschützten Rastplatz umsah, fand ich keinen. Endlich eine Fichte, breit genug, mir ein paar Minuten lang den Rücken freizuhalten. Ich ließ mich auf ihren kräftigen Wurzeln nieder und bedauerte, Carols Angebot ausgeschlagen zu haben, ihre Äpfel als Proviant einzustecken.
    Gene sah mich im Schoß der Fichte sitzen, bremste und winkte. «Come on!» Seinen Toyota hatte der Rost zu einem guten Teil schon gefressen, aber er fuhr noch. Gene war Bauarbeiter, alles an ihm und seinem Auto war ölig und dreckig, jedes zweite Wort war
fucking.
Es war erstaunlich, wie oft er es unterbrachte in seinen kurzen Sätzen. Die Scheißkarre war geschenkt, «nicht daß du denkst, der Scheißtoyota sei mein Auto». Gene grinste. Sein Scheißboß habe ihm den Pickup überlassen, sein scheiß dritter nun vor der Tür, aber das Scheißding habe seine Macken, jetzt brauche es einen verdammten Ölwechsel, das wollte Gene erst einmal erledigen, bevor er zu dem Scheißfarmhaus fuhr, in dem Jake neuerdings lebte.
    «Jake?»
    «Mein Freund Jake, ja. Kannst ruhig mitkommen, okay?»
    «Okay.»
    Gab es nichts weiter zu sagen, fluchte Gene einfach vor sich hin. «Scheißpiste! Scheißöl! Scheißtag!» Und rotzte dazu aus dem Seitenfenster.
    Als er Öl kaufen ging und auch ich ausstieg und meine Tür verriegeln wollte, rief er mir zu, das solle ich lassen. «Das macht keiner hier draußen. Wir schließen nicht ab, das hier ist ein ehrliches Land,
you bet
!» Da kannst du dich drauf verlassen. Bevor er im Laden verschwand, wies er mich auf das Wandbild am Haus gegenüber hin. «Sieh mal, so eine alte Indianerstory.» Der winzige Ort, in dem wir hielten, hieß Weeping Water, das Wandbild erklärte den Namen: Zwei Stämme führten Krieg, viele tapfere Krieger fielen, und die Frauen weinten so sehr, daß aus den vergossenen Tränen ein Bach entstand, ein
creek
, der seitdem so genannt wurde. Die weißen Siedler hatten bei ihrer Dorfgründung den Indianernamen übernommen.
    Jakes Haus stand allein in den Feldern, es war nicht sehr hell darin, aber warm – das Gefühl, eine schützende Höhle zu betreten. Sein Mittelpunkt war der Ofen im großen Zimmer, das offene Feuer darin. Wie von selbst scharten sich Gene und Jake und auch ich um dieses Feuer. Hunde und Holzscheite lagen auf dem Boden herum und zerschlissene Sisalmatten. Ein paar alte Sofas standen da und ein Eimer voll glimmender Asche. Ich hatte das Gefühl, in einem Blockhaus der ersten Siedler zu stehen. Würden wir auf die Jagd gehen? Warmit Überfällen zu rechnen? Würde der nächste Winter so streng sein wie der letzte, würden wir überleben, reichte das Trockenfleisch, reichte die Munition?
    Jakes halbwüchsige Töchter nährten diese Phantasie. Schnelle, biegsame Wesen mit dünnen, sehnigen Armen und nackten Füßen, so stoben sie durchs Haus, wie freigelassen. Als seien sie eben eingezogen und müßten es sich erst errennen, erspringen, erobern – ihr Haus, ihr Glück! Treppauf, treppab, über Sofas, Brennholz, Hunde, rein und raus, die älteste kämmte sich rennend das lange Haar, zugleich suchte sie eine Ausgehtasche, irgendwo in dem Gerümpel mußte doch eine sein, denn es ging in die Stadt. In Lincoln gab es einen kirchlichen Billigladen, und die Mädchen brauchten Kleidung. Gene und Jake

Weitere Kostenlose Bücher