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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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auf scheue Art freundliche Frau. Tee stand nicht auf der Karte, sie kochte mir trotzdem welchen. Als sich Hunger regte, hatte ich wieder Glück – wieder eine Wirtin an der großen Gleichgültigkeit der Straße, eine auf resolute Art mütterliche Amerikanerin diesmal. Eines teilten beide Wirtinnen: Sie trauten mir nicht. Nur eine leichte Anspannung beim Hinstellen des Tees und später des
basket
, des Körbchens, gefüllt mit
beef
und
French fries
, nur das Ausbleiben des üblichen Scherzes beim Kaffeenachschenken, mehr war es nicht, und doch genug, daß der Fremde, auf sich allein gestellt und darum hellwach in diesen Dingen, es bemerkte. Es gab dafür nur eine Erklärung: Oklahoma City. In großen Städten verschwand die Unbefangenheit gegenüber einem wiemir, und das Mißtrauen war da, wieder bestätigte sich diese Regel.
    Es dämmerte, als die Stadt endlich hinter mir lag und ich offenes Land erreichte. Wo meine Straße die Interstate schnitt, fand ich ein Motel für die Nacht. Trucks rasten durch meinen Schlaf, ich wälzte mich hin und her und erwachte wie zerschlagen, dafür bekräftigte der neue Tag eine andere Regel: Arme halfen. Sie halfen eher als Reiche. Kein Wunder, sie hatten weniger zu verlieren und weniger vor.
    Gerade, als ich am Altenwohnheim vorüberging, es lag so hart an der Autobahn wie mein Motel und sah genauso trostlos aus, holte eine Frau dort ihre Mutter ab, eine runzlige alte Dame mit krächzender Stimme. Und obwohl ihr Auto mit allem möglichen Zeug vollgestopft war und sie außerdem ihre kleine Tochter dabeihatte, bot die Frau mir die Mitfahrt an. Die Kleine, ein dünnes Kind mit wachen, fragenden Augen, begann sofort eine muntere Konversation von der Rückbank her.
    «Wir leben in einem Trailer», sagte sie.
    «Aber in einem extragroßen», verbesserte die Mutter.
    «Wo bist du her?»
    «Aus Berlin, das liegt in Deutschland.»
    Die Großmutter krächzte laut auf, es war ihre Art zu lachen, sie fand es lustig, plötzlich einen Marsmenschen im Auto zu haben.
    Ihre Enkelin fuhr fort zu fragen: «Wie kommt man dahin? Mit einer Rakete? Wie heißt du?»
    Ich nannte meinen Vornamen, für sie klang er zweifellos nach einer Figur aus Indianergeschichten – «komischer Name, wie?»
    Das Mädchen antwortete nicht, es beugte sich vor und sah mich neugierig an, seine Großmutter krächzte ihm etwas zu, das ich nicht verstand.
    In Norman begann es zu regnen, nebelfein. Wie windstill es war, fiel mir erst jetzt auf. Ich mochte diesen sonderbaren Tag, aber als ich eine Weile gegangen war, merkte ich, wie die Feuchtigkeit mir zusetzte, nicht die des sanft stäubenden Regens – die Dampfsauna des Südens hüllte mich in ihre Schwaden und zehrte an meiner Kraft.
    In Noble griff die Dame, die in ihrem Haus an der Landstraße ihre selbstgesammelten
rose rocks
ausstellte und verkaufte, in die Kiste und schenkte mir eine. Die Steinrosen von Oklahoma haben etwa die Größe unserer Buschwindrosen, sind von rostroter Farbe, die an getrocknetes Blut erinnert, und aus porösem Stein. Stein – so hatte ihre Familie ursprünglich geheißen. Längst schrieb sie sich Stine, aber Nancy wußte noch zu berichten, daß sie von Einwanderern aus Preußen abstammte, irgendein Vorfahr hatte im Dienst König Friedrichs des Großen gestanden. Ihr Mann Joe hatte neben seinem deutschen einen indianischen Großvater. Dessen Vorfahr war ein Kriegshäuptling der Cherokee gewesen, was wiederum viel – im Grunde alles – mit der Steinrose zu tun hatte. Nancy erklärte es mir: «Als man Gold fand in Georgia, trieb die Regierung die Cherokee, die dort gelebt hatten, weit fort nach Westen, nach Oklahoma. Viertausend starben unterwegs. Gott sah es und hieß die Erde, das Blut und die Tränen, die sie getrunken hatte, in Rosen aus Stein zu verwandeln. So kommt es, daß hier Steinrosen gefunden werden, nirgendwosonst auf der Welt, nur hier in Oklahoma, wo der Pfad der Tränen endete.»
    Slaughterville hieß der nächste Ort auf meiner Karte. Joe bot an, mich hinzufahren. In Regengaze gehüllt war der Tag dahergekommen, in Schauern ging er dahin. Joes Wagen pflügte Wasserschneisen auf der 77.   Ich schwieg. Er nahm es als Einverständnis, mich nicht in Slaughterville abzusetzen, sondern weiterzufahren nach Purcell. Ich stieg aus, dankte, durchquerte den Ort, lief ein paar Regenmeilen hinaus, sah den Reklamemast von «Ruby’s Inn» in der Ferne und gab, als ich endlich davorstand, auf. Hier, im Motel in jener Ecke der Welt, wo
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