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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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sich die Route 77 und die Interstate nach Texas flüchtig berühren, blieb ich tagelang hängen.
    Ich konnte von Glück sagen, dort gelandet zu sein. Es regnete sich ein, und nichts deutete darauf hin, daß es je enden würde. Ich lag stundenlang auf dem Bett und hörte dem Regen zu, wie er auf das parkende Blech draußen vor dem Motelzimmer klatschte, manchmal ließ er nach, fingertrommelte nur noch ein bißchen auf den Autos, richtete ich mich aber auf, um besser hinaushorchen zu können, stopfte, was herumlag, in den Rucksack und trat aus der Tür, um weiterzugehen, dann klatschte er wieder los mit ganzer Wucht, und ich ging wieder hinein und ließ mich aufs Bett fallen.
    Mein neuer Regenmantel taugte nichts. Darum saß ich hier fest. Eine Armbewegung, und sein Reißverschluß riß von unten bis oben auf. Auf die Regenmäntel dieser Firma war stets Verlaß gewesen, aber jetzt kehrte dort ein neuer Besen alle Bedenken fort und kaufte billige Reißverschlüsse ein, die gleich kaputtgingen. Ichkonnte den Mantel bei kräftigem Regen nicht gebrauchen, aber wegwerfen wollte ich ihn auch nicht, die Strecke, die mir bevorstand, war sehr lang.
    Um mich abzulenken, kramte ich ein Buch hervor, das ich im «Dusty Bookshelf» gekauft hatte, der Literaturhandlung von Manhattan, ein Buch über die Große Depression der dreißiger Jahre. Am 6.   Oktober 1932 ist die Farmerin Theresa von Baum pleite. Frost, Sturm und Hagel zur falschen Zeit haben sie und ihr Mann mit harter Arbeit überstanden, Heuschreckenplagen, die Wirren des Marktes, den Preisverfall. Als ihr Mann stirbt, macht sie weiter mit den Söhnen. Nun will ein Gläubiger, dem sie vierhundert Dollar schuldet, sein Geld. Die örtliche Bank hilft, bis auch sie bankrott ist. Der Gläubiger erscheint auf der Farm. Er will sie versteigern lassen, um sein Geld zu kriegen. Die Auktion wird festgesetzt – auf den 6.   Oktober 1932.   Zweieinhalbtausend Farmer kommen. Sie haben ein Komitee gewählt, zwölf Mann. Das Komitee sagt, diese Farm geht nicht vor die Hunde, sie bleibt im Besitz der Farmerin. Es bietet dem Gläubiger hundert Dollar an. Der sagt, na gut, ich verschiebe die Auktion. Ich komme wieder. Das Komitee sagt, nein, du versteigerst hier gar nichts. Wir versteigern jetzt auf unsere Art. Zehn Kühe, ein Traktor, diverses Gerät, das Haus, die Scheune, das Land, das alles geht weg für eine Handvoll Cent, gesammelt in der Menge – hundertzwei Cent kommen zusammen. Hundertzwei Cent für die Farm mit allem, was darauf lebt und steht. Sie werden Theresa von Baum überreicht. Sie kauft sie dafür zurück. Ende der Auktion. Der Gläubiger sieht zu. Er zieht dieMenge in Betracht, zweitausendfünfhundert Farmer, steigt in sein Auto und fährt zurück in die Stadt.
    «Penny Auction» hieß die Methode. Sie war in Oklahoma und anderen Plains-Staaten verbreitet in den Jahren des Scheiterns und der Verzweiflung. Eine «Penny Auction», das war so etwas wie eine «Boston Tea Party» mit den Mitteln der Prärie. Auch das war Amerika, an einem Punkt, an dem nichts mehr half, was sonst geholfen hatte – die Erinnerung daran, daß nicht das Gesetz dieses Land begründet hatte, sondern ein paar Männer, die es in ihre Hände nahmen.
    Darum die Feier des siegreichen Gesetzes. Keine Kirche war die höchste Erhebung all der kleinen Städte, durch die ich kam – der Courtyard war es. Diese festen Burgen des Gesetzes waren oft wuchtige neoromanische Bauten, die an den wilhelminischen Stil erinnerten, vor allem aber daran, wie Amerika entstanden war: Am Anfang war das Gewehr, der Revolver. Erst danach kam das Recht.
    Wenn ich es im Zimmer nicht mehr aushielt, schritt ich die schmale, überdachte Veranda des Motels ab. Es war dreiflüglig um den riesigen, zur Straße hin offenen Parkplatz herumgebaut, mein Zimmer lag am äußersten Ende des linken Seitenflügels. Am äußersten Ende des rechten, jenseits des Parkplatzes, lag mein einziger Trost, «Ruby’s Diner». Im Diner saß ich gern, trank Kaffee, hörte und sah dem fallenden Regen zu, lauschte den regengleich rauschenden Stimmen hier drinnen. Manchmal kam der Sheriff auf einen Kaffee vorbei. So vergingen die Tage.
    Man wußte inzwischen, der da immer allein in derNische frühstückt, ab und zu seinen Kaffee trinkt und abends hinüber zum Mexikaner geht, ist Deutscher. Es gab Pferdezüchter in der Gegend, immer wieder kamen Händler aus dem Ausland. Kurz und gut, man hielt mich für einen Pferdemann, und ich beließ es dabei.
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