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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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hin, geht noch mal zur Toilette, dieKellnerin kommt nicht, er kommt auch nicht gleich wieder, ich sitze da am Tisch, das Geld liegt vor mir, ich hab’s nicht gleich genommen, ich dachte, gib ihnen eine Chance, es war so eine Art Spiel, ich gab ihnen zwei Minuten, dann habe ich mir den Hundertdollarschein geschnappt und bin raus. So einer war ich. Manchmal denke ich, er hat es extra getan. Gewundert hat er sich sicher nicht. Ich glaube, man sah es mir damals an, was ich für einer war. Ist eine Weile her, so was würde ich heute nicht mehr machen. Trotzdem – mich nähme keiner mit, wenn ich wie du an der Straße stünde – ich bin halber Indianer, hab ein dunkles Gesicht.» Er riß eine Bierdose auf. «Auch eins?»
    «Gern, danke. Ein Plainsstamm?»
    «Nein, ein kalifornischer Stamm, kennst du sicher nicht. Mein anderer Großvater war Weißer. Ein kleiner Farmer in Oklahoma, in den dreißiger Jahren floh er nach Kalifornien, um dort Holzfäller zu werden, in der Zeit der großen Dürre und Depression – ein Okie. Weißt du, was das ist?»
    «Ja, ich habe ein Buch darüber gelesen. Und was machst du?»
    «Ich bohre nach Öl, arbeite für eine Ölfirma, ein paar Meilen weiter siehst du eine unserer Anlagen, ich zeig sie dir. Dieses Jahr haben sie meinen Lohn halbiert.» Er sagte unschöne Dinge über den Präsidenten, er schade der heimischen Ölindustrie, ihm habe er das zu verdanken.
    Wieder hockte er in dieser sonderbaren Haltung am Steuer, und jetzt sah ich, es war die Haltung eines Reiters.Er ritt seine Autos. Vorgebeugt saß er da, wie ein Fährtensucher im Sattel. Er war ein Riese, er paßte einfach nicht in Autos. Und weil er kurze Hosen trug, sah ich die kleinen Tätowierungen auf den Unterschenkeln, sie fielen kaum auf, wie blaue Äderchen liefen sie über seine dunkle Haut.
    «I was a hoodlum», sagte er plötzlich. Ich blieb an dem eigentümlichen Wort hängen, ein Wort, ich hatte gedacht, man verwende es nicht mehr.
Hoodlum
– mir schien, es schwang ein moralisches Urteil darin mit, wie in Lump oder in Zuchthäusler, das sagte man auch nicht mehr. Über Verbrecher wurde entweder juristisch-sachlich gesprochen oder im selbstverliebten Gangsterjargon, aber nicht mehr moralisch, und daß einer sich im nachhinein selbst so bezeichnete, kam so gut wie nicht vor. Ein
hoodlum
war kein ganz schlimmer Fall, eher ein Dieb als ein Räuber und Mörder, aber doch ein notorischer Dieb.
    «Ja, das war ich», fuhr Jason fort, «drogenabhängig, ein Dieb. Alles hätte ich für Drogen getan. Weißt du, ich fahr ganz gern ein bißchen herum heute. Meine Frau ist krank, und wenn ich nicht daheim bin, steck ich mich nicht an. Ich muß arbeiten, muß nach Nebraska, Öl bohren. Fünf Monate lang mit zehn Männern in einem Haus. Wenn ich arbeite, schläft ein anderer in meinem Bett, das stinkt mir, aber ich beklage mich nicht, ich muß Geld verdienen.»
    Manchmal tauchte eine der schneeweißen Turmnadeln auf, die wie Dachreiter auf den kleinen Kirchen von Oklahoma saßen. Wenn ich sie sah, dachte ich an die weißen Spitzkapuzen des Ku-Klux-Klan. Die Überblendungder Bilder war ungerecht, aber ich konnte mich ihrer nicht erwehren.
    «Wir fahren durch den Bible Belt, wie?»
    «Ja, Bible Belt. Weißt du, was die Bibel ist?» Er besann sich, schüttelte den Kopf, schlug mir auf den Oberschenkel und lachte: «Sorry, ich rede mit dir wie mit einem Idioten. Noch ein Bier?»
    «Schon gut. Wie lange willst du das noch machen, Öl bohren, wie alt bist du eigentlich?»
    «Zweiunddreißig. Aber ab dreißig zählt man besser nicht mehr. Und du, hast du Kinder, eine Frau?»
    «Ja.»
    «Und sie läßt dich gehen?»
    «Ich arbeite für meine Familie, so wie du, aber ab und zu muß ich sie bitten, mich gehen zu lassen. Du gehst ja auch monatelang nach Nebraska.»
    «Ja, ab und zu brauch ich das. Da – siehst du? Da stehen welche, da auf der Weide, wilde Mustangs. Die mußt du als Fohlen kaufen, kosten um die zweihundert Dollar, später kriegst du sie nicht mehr gezähmt.» Er liebe Pferde, sagte er, und er liebe es, jagen zu gehen, Hirsche, Fasanen, Truthähne.
    Ich bewunderte Oklahoma. Es hatte aus dem jungen, drogensüchtigen Dieb und Gauner einen Jäger und Vater gemacht, einen Mann. Und nach allem, was wir so überstürzt geredet hatten und redeten, überraschte es mich nicht, als er sagte, er habe als Junge stundenlang über Atlanten gesessen, über Landkarten. Das kannte ich gut, es war mir genauso gegangen.
    «Bist du ein
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